Geschichtsstreit überschattet Holocaust-Gedenken
Polen und Russland streiten seit einiger Zeit um die Auslegung der Geschichte rund um den Zweiten Weltkrieg. Warschau betont, der Hitler-Stalin-Pakt zur Aufteilung Polens sei ein wichtiger Auslöser. Putin ließ unlängst wissen: In Wirklichkeit sei Polen Komplize Hitlerdeutschlands gewesen, vor allem im Holocaust. Auch wegen dieses Streits kam Duda nicht nach Yad Vashem, und Putin nicht nach Auschwitz.
Wir stehen solidarisch an der Seite von Polen!
Polen und die Ukraine müssen gemeinsam gegen den russischen Geschichtsrevisionismus vorgehen, meint Wasil Bondar, stellvertretender ukrainischer Außenminister, in Dserkalo Tyschnja:
„Die alte und die jüngere Geschichte lehrt, dass Moskau unsere Streitigkeiten für sich nutzt. Ganz im Sinne seiner imperialen Absichten handelt der Kreml seit Jahrhunderten nach dem Prinzip 'teile und herrsche'. Die Bedrohung aus dem Osten war immer dann besonders gefährlich, wenn wir durch Auseinandersetzungen untereinander geschwächt waren und uns nicht einigen konnten. … Putin und seine Helfershelfer haben nun eine groß angelegte Propagandakampagne angeleiert, in der man Polen Antisemitismus vorwirft und eine Verantwortung für den Ausbruch des Zweiten Weltkriegs. Die Reaktion der ukrainischen Seite auf diese falschen Anschuldigungen muss klar sein: Wir stehen solidarisch an der Seite von Polen!“
Ablenkung von Putins eigentlichen Zielen
Mit der Verdrehung historischer Ereignisse lenkt Putin die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit von den Vorhaben ab, um die es ihm wirklich geht, kommentiert Polityka:
„Taktisch gesehen kann Putin von einem Erfolg sprechen, da er Polen dazu gezwungen hat, auf einem anderen Spielfeld aufzutreten, in Auschwitz statt in Yad Vashem. Doch die westliche Welt hat ihm seine historischen Fantasien nicht abgekauft und Polens Position verteidigt. Wir Polen haben uns jedoch so sehr auf diese Verteidigung konzentriert, dass wir nicht bemerkt haben, wie der Ball in ein anderes Feld gerollt ist. Wir waren nicht mehr dabei, als Putin zeigte, dass nur diejenigen die Weltpolitik bestimmen, die sie selbst schaffen, und nicht die, die auf die Stellungnahme des Weißen Hauses warten, bevor sie ihren Standpunkt einnehmen.“
Geschichte verträgt keine Schablonen
Beide Seiten machen es sich mit der Geschichtsauslegung zu einfach, kritisiert Kommentator Konstantin Sonin auf Echo Moskwy:
„Wenn der polnische Premierminister sagt, Deutschland und Russland hätten den Zweiten Weltkrieg entfesselt, dann ist das Propaganda für den internen Gebrauch. Aber wenn ein Vertreter des russischen Außenministeriums sagt, Russland habe Polen nicht überfallen und war nicht an der Vernichtung seiner Staatlichkeit beteiligt, dann ist das unwahr. Ich habe den Eindruck, dass uns da jemand eine Wahl aufzwängen möchte zwischen 'Russland war Aggressor im Zweiten Weltkrieg' und 'Russland war Opfer einer Aggression'. Aber das ist eine verlogene Wahl, beide Antworten sind nicht richtig. Russland war Aggressor gegenüber Polen, aber Russland war auch Opfer der deutschen Aggression, mit der der Weltkrieg begann.“