Ukraine: Kabinettsumbildung gleich Neuanfang?
Im Schnelldurchlauf hat der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj eine Regierungsumbildung durchgezogen. Neuer Premier ist Denys Schmyhal, elf von 17 Ministern wurden ausgetauscht. Der alten Regierung warf Selenskij vor, zu wenig gegen die Bekämpfung des Schmuggels zu tun, das Budget nicht einzuhalten und die Industrie nicht zu unterstützen. Für Beobachter ist das Politmanöver kein gutes Zeichen.
Nun rächt sich die Unerfahrenheit
Das Auswechseln fast der gesamten Regierung ist ein Zeichen der Schwäche von Wolodymyr Selenskyj, meint der ukrainischstämmige Politologie-Professor Alexander Motyl in Nowoje Wremja:
„Fehler sind zur Norm geworden. … Das Fehlen einer klaren Strategie ist für führende Politikern immer ein Hindernis. Doch bei Selenskyj ist dies ein besonders schwerwiegendes Problem, haben doch die unglaublichen Siege von ihm und seiner Partei enorm viel Macht und Verantwortung in unerfahrenen Händen konzentriert. … Selenskyj muss nun vor allem erkennen, dass er trotz eines fantastischen Wahlsiegs nicht allein regieren kann. Er braucht die Kompetenz, die Erfahrung und Professionalität der demokratischen Opposition.“
Lähmende Macht der Oligarchen
Der Einfluss der großen Magnate zieht sich durch die gesamte Politik, bemängelt der Tages-Anzeiger:
„Es ist ein Trauerspiel. Nur theoretisch wählt der Regierungschef seine Mannschaft selbst aus. Praktisch tut dies der Stabschef von Präsident Selenski, im Zusammenspiel mit ukrainischen Oligarchen. Deren Handschrift ist bei der neuen Regierung zu erkennen. Sogar der neue Ministerpräsident, Dennis Schmigal, arbeitete bis 2019 für den Oligarchen Rinat Achmetow. ... Trotz Milliardenschaden für die Ukraine [durch die Korruption und den Betrug der Oligarchen] gibt es nicht einmal einen Untersuchungsausschuss. Stattdessen kontrollieren die Oligarchen das Parlament, die korrupten Gerichte und offenbar sogar den Präsidenten selbst. Solange dies so bleibt, wird das Land keinen Schritt vorwärtskommen.“
Westen wusste wohl nicht, mit wem er es zu tun hat
Ria Nowosti sieht in dem Regierungswechsel eine Bestätigung dafür, dass der Westen die Ukraine falsch eingeschätzt hat:
„In den letzten sechs Jahren ist die allgemeine Vorstellung entstanden, die ukrainischen Eliten seien Marionetten, die auf einen Pfiff aus Washington (oder Brüssel) jeden Befehl erfüllen. Das war von Anfang an falsch gedacht. Die Ukraine ist ein großes, hochentwickeltes Land (auch wenn es erfolgreich seine hohe Entwicklung verplempert) mit sehr reichen Eliten, die sich ihren Platz an der Sonne im Blutbad der Kapitalgründungsphase erobert haben. Es wäre naiv zu glauben, diese Leute würden ernsthaft Männchen machen und vor dem Westen stramm stehen. ... Diese Eliten kümmern sich wenig um den Schutz der nationalen Interessen, aber dafür umso besser um die Durchsetzung ihrer eigenen.“