Nach Olympia folgt das Exil: Der Fall Timanowskaja
Die belarusische Olympionikin Kristina Timanowskaja hat in der polnischen Botschaft in Tokio ein humanitäres Visum erhalten. Die Sprinterin hatte öffentlich Sportfunktionäre ihres Landes kritisiert und sollte deshalb offenbar gegen ihren Willen vorzeitig nach Hause geflogen werden. Am Flughafen suchte sie Schutz bei der Polizei. Für Europas Presse wirft die Episode ein Schlaglicht auf Unterdrückung und Perspektivlosigkeit in Belarus.
Imageschaden für Lukaschenka
Polityka betrachtet das Verhältnis Minsks zum Sport:
„Zwar gestatten die belarusischen Behörden Sportlern die Teilnahme an Wettkämpfen - doch verlangen sie im Gegenzug Gehorsam. ... Der Sport ist für das Regime äußerst wichtig. Es kann auf der internationalen Bühne Präsenz zeigen und zu Hause mit Erfolgen prahlen. Der Fall Timanowskaja ist ein deutlicher Riss in dem Bild, das Lukaschenka der Welt vermitteln möchte.“
Immer noch nicht sicher
Dass Timanowskaja nach ihrer Flucht zur Ruhe kommen kann, ist für die Frankfurter Allgemeine Zeitung noch nicht ausgemacht:
„Für die Sportlerin wird sich in der EU ein Land - vermutlich Polen - finden, das ihr Asyl gewährt. Ihr Mann soll in der Ukraine sein. Ob beide damit wirklich in Sicherheit sind, ist zu hoffen, aber nach den Erfahrungen der vergangenen Monate leider keineswegs sicher. Immerhin wurde Lukaschenka auf großer internationaler Bühne wieder einmal bloßgestellt. Wie so etwas enden kann, weiß man spätestens seit der Entführung eines Ryanair-Flugzeugs nach Minsk, zu dessen Passagieren ein oppositioneller Blogger gehörte.“
Die Hoffnung stirbt
Der Fall Timanowskaja wirft ein Schlaglicht auf den Exodus junger und demokratisch gesinnter Menschen aus Belarus, konstatiert The Guardian:
„Während das Regime letztes Jahr seine Macht durch hartes Durchgreifen, Massenverhaftungen und Folterungen gefestigt hat, haben viele junge Belarusen Zuflucht in den Nachbarländern Litauen, Ukraine und Polen gesucht. Der ehemals boomende IT-Sektor in Minsk - einer der organisatorischen Zentren der Proteste - ist davon besonders betroffen. Bis zu 15.000 Beschäftigte sind aus dem Land geflohen. Viele andere Berufseinsteiger haben die gleiche Entscheidung getroffen und ihre Hoffnung auf demokratische Reformen vorerst beerdigt. Wer kann es ihnen verübeln angesichts weiterhin wirkungsloser Sanktionen der USA und der EU und der Tatsache, dass Wladimir Putin dem Regime jederzeit zur Seite steht?“
Zustände wie vor 1989
Český rozhlas vergleicht Belarus mit dem früheren Ostblock:
„Der Fall der belarusischen Olympionikin erinnert uns an etwas, was wir in unserer Region in den vergangenen 30 Jahren erfolgreich vergessen haben: Wie es ist, aus politischen Gründen ins Exil zu gehen. Aus Angst, dass wir für die Missachtung des Regimes bestraft werden. ... Lukaschenka hat Belarus zu einem Punkt gebracht, an dem die Verhältnisse in den ehemals sozialistischen Staaten wirklich zum Greifen nah sind - und das ist das schlimmste Zeugnis für diesen Präsidenten.“
Wettlauf mit dem Diktator
Wie lange die mediale Aufmerksamkeit nun währen wird, fragt sich Rzeczpospolita:
„Timanowskaja träumte davon, ihr Land zu vertreten. Und wahrscheinlich träumt sie immer noch von einem Belarus, das ihr dies ermöglichen würde. Leider werden sie und ihre Landsleute bald erfahren, dass die Aufmerksamkeit der Welt für die Taten des Diktators nur von kurzer Dauer ist. Wie ein 200-Meter-Sprint.“