Ukraine: Wie viel militärische Hilfe ist richtig?
Über 40 Länder haben sich am Dienstag auf der US-Flugbasis Ramstein getroffen, um Geschlossenheit bei der Unterstützung der Ukraine in ihrem Kampf gegen Russland zu zeigen. Im Zuge dessen sagte Berlin nach langem Zögern zu, Panzer an Kyjiw zu liefern. London will Kampfflugzeuge bereitstellen. Europas Presse diskutiert, ob mehr Waffen die Lösung für den Krieg sind oder eher eine zusätzliche Eskalationsgefahr.
Unterstützung darf nicht nachlassen
The Times findet es richtig, dass Großbritannien Flugzeuge schicken will:
„Es ist überlebenswichtig, dass der Westen zusammenhält und an einem Strang zieht, um der rechtmäßigen Regierung in Kyjiw zu helfen. Im Laufe diese Konflikts wird es noch weitere Prahlereien und weitere Drohungen von Putin geben, und die Nato-Mitglieder sollten sich bereit zeigen, ihren Einsatz zu erhöhen. Anstatt dem Kreml stetig zu versichern, was sie nicht tun werden, sollten sie besser die Botschaft vermitteln, dass ihre militärische Unterstützung für die Ukraine und ihre Sanktionen gegen die russische Wirtschaft fortgesetzt werden, bis Kyjiw sein Kriegsziel für erreicht hält.“
So kann Kyjiw nicht gewinnen
Der Westen muss entweder direkt intervenieren oder mit Putin verhandeln, meint hingegen The Guardian, denn die Waffenlieferungen in ihrer aktuellen Form verlängern das Leiden der Ukraine nur:
„Je länger dieser Krieg dauert, desto mehr Ukrainer werden aus ihrer Heimat fliehen und desto mehr werden ihre Häuser, Städte, Industrie und Wirtschaft verwüstet. Doch der derzeitige Ansatz des Westens, das Kriegsziel der Ukraine - nämlich den Sieg über den Angreifer - zu stützen und dafür Waffen bereitzustellen, während man gleichzeitig eine direkte militärische Intervention vermeidet, wird garantiert den Krieg verlängern. Russlands Fortschritt mag verlangsamt werden, aber es ist höchst unwahrscheinlich, dass er aufgehalten wird. ... Es vergeht kein Tag an dem nicht ein hochrangiger westlicher Politiker verkündet, dass die Ukraine 'erfolgreich' sein wird. ... Das steigert die Moral, ist aber Unsinn.“
Je ausgeglichener, desto länger
Der Kolumnist Lluís Bassets unterstreicht in El País:
„In zwei Monaten hat sich das Kräfteverhältnis umgekehrt: ... Um zu gewinnen, braucht man Entschlossenheit und Waffen. ... Daher die starke Botschaft der in Ramstein gebildeten internationalen Koalition: Die Ukraine will gewinnen und ihre Freunde wollen, dass sie gewinnt. ... Die Reaktion des Kremls sollte nicht überraschen: Raketen gegen Bahnhöfe und Eisenbahnlinien, Gasabschaltungen für Polen und Bulgarien und hetzerische Äußerungen von Außenminister Lawrow, die einen Atomschlag und den Dritten Weltkrieg plausibel machen. Da die Kräfte gleichmäßiger verteilt sind als zunächst angenommen, ist klar, dass der Krieg dauern wird.“
Westen will nicht mehr nur helfen, sondern gewinnen
Die Washington-Korrespondentin des Tagesspiegels, Juliane Schäuble, beobachtet einen Strategiewechsel der westlichen Führungsmacht:
„Auf einmal wirkt alles ganz selbstverständlich: Die Amerikaner rufen zum Waffen-Gipfel auf ihre größte Airbase außerhalb der USA – und mehr als 40 Länder folgen der Einladung. ... Immer klarer zeichnet sich ab, dass Washington nicht nur Kiews Verteidigung unterstützen, sondern auch Moskau schwächen will. ... Zu beobachten ist ein Strategiewechsel von enormer Tragweite. Der militärische Ramstein-Gipfel soll das festschreiben, es werde ein 'historisches Treffen', erklärte der US-Verteidigungsminister zum Auftakt. Der Schwerpunkt liegt immer mehr auf militärischen Mitteln, nicht auf diplomatischen.“
Großzügige Geste bringt Probleme
Die Niederlande liefern der Ukraine Panzerhaubitzen. De Telegraaf verweist auf Kritik aus der Armee, wonach die eigene Landesverteidigung dadurch geschwächt wird:
„Der internationale politische Druck, schwere Waffen zu liefern, ist hoch. Der deutsche Bundeskanzler Scholz erntete Hohn mit seiner Weigerung, das zu tun. Die Deutschen machen nun doch mit und liefern Luftabwehr, aber geben keine Panzerhaubitzen ab. Sie liefern Munition und bilden die ukrainischen Soldaten für 'unsere' Panzerhaubitzen aus. Die Frage ist nur gerechtfertigt, was schlimmer ist: Befristeter Hohn oder langfristige Probleme durch die großzügige Geste, was den Niederlanden Experten zufolge droht? “
Es gibt viele Arten zu helfen
Die harsche Kritik der Ukraine gegenüber Ländern, die ihr keine Waffen liefern, könnte sie Solidarität kosten, meint Krónika:
„Es gibt viele Länder, die Putins Invasion verurteilt haben, jedoch wollen sie aus unterschiedlichen Erwägungen in diesen Krieg nicht mit Waffen eingreifen. ... Bisher haben weder Ungarn noch Rumänien der Ukraine militärische Unterstützung geleistet, andere Hilfe aber umso mehr. Sowohl Ungarn als auch Rumänien haben Hunderttausenden von ukrainischen Flüchtlingen geholfen ... Diese Hilfe zu bagatellisieren ist ziemlich undankbar und dürfte das Mitgefühl vieler Menschen mit den Ukrainern, die von Russland einseitig und ohne Grund angegriffen werden, zerstreuen oder zumindest verringern.“
Gefährliche Absichten
La Stampa warnt:
„Es ist klar, dass US-Außenminister Blinken und Pentagon-Chef Austin nach Kyjiw neben ein paar Tonnen Waffen vor allem das Bekenntnis einer Absicht mitgebracht haben, das erstaunlich wäre, wenn es nicht perfekt mit der drastischen Linie übereinstimmen würde, die Washington in dieser Tragödie verfolgt, als ob es auf einer Autobahn ohne Ausfahrten unterwegs wäre. ... Wir bewegen uns auf gefährlichem Terrain, jenseits von B-52s, Drohnen und Kampfjets. Wir befinden uns an einem Wendepunkt. Zum ersten Mal wird zugegeben, dass die ukrainische Freiheit im Grunde nur eine Fiktion ist, die die Amerikaner zur Umsetzung ihrer Politik benutzen. Das heißt, die Vernichtung der russischen Militärmacht. Ist das nicht extrem gefährlich?“
Der Westen spielt mit dem Feuer
Insbesondere die USA sind zu stark in den Krieg verwickelt, findet der Akademiker Stephanos Konstantinidis in Phileleftheros:
„In der Ukraine befinden sich Hunderte von westlichen Militärberatern und Freiwilligen. Die ukrainische Armee wird von den USA beraten und verfügt über alle wichtigen Informationen über russische Bewegungen, die ihr von den US-Geheimdiensten zur Verfügung gestellt werden. ... Die Versenkung des russischen Flaggschiffs Moskwa vor einigen Tagen wurde in Wirklichkeit von den Amerikanern durchgeführt. ... All dies entging natürlich nicht der Aufmerksamkeit der Russen, die sie vor den Folgen ihres Handelns warnten. Das Risiko eines Atomwaffen-Einsatzes scheint nicht ausgeschlossen. Einige spielen mit dem Feuer und wollen nicht, dass dieser Krieg endet.“
Waffenlieferungen über Drittländer ermöglichen
Die Schweiz sollte sich nicht hinter dem Neutralitätsrecht verstecken, meint die NZZ:
„Dass die westeuropäischen Staaten Kiew unterstützen, sollte eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein. Doch der Diskurs um die Waffenlieferungen an die Ukraine in Deutschland steht exemplarisch für eine Götterdämmerung friedensverwöhnter Gesellschaften. … Nun erlebt auch die Schweiz einen scheinbaren Scham-Moment. … Bern macht keine gute Figur in diesem Krieg. … Freiheit und Demokratie wiegen als Werte höher als die Neutralität. Bern muss seine politischen Maximen genauso hinterfragen wie Berlin. Indirekte Waffenlieferungen über ein Drittland müssten mit dem Neutralitätsrecht vereinbar sein. Dies wäre heute der richtige Schweizer Standpunkt.“