Kein zweites Unabhängigkeitsreferendum in Schottland
Der britische Supreme Court hat einem zweiten Referendum über eine Unabhängigkeit Schottlands eine Absage erteilt. Die schottische Regierungschefin Nicola Sturgeon, die eine neue Abstimmung angekündigt hatte, reagierte enttäuscht, will die Entscheidung aber akzeptieren. Kommentatoren diskutieren das Urteil und werfen die Frage auf, ob es für Sturgeons Scottish National Party wirklich der Dämpfer ist, als der es erscheint.
Nur unter zwei Bedingungen
Das Thema ist noch längst nicht vom Tisch, meint The Scotsman:
„Wenn trotz der Krise der Lebenshaltungskosten, des Klimawandels und des Ukrainekrieges mehr als die Hälfte der schottischen Wähler nationalistische Parteien wählen würde, die sich für die Unabhängigkeit einsetzen, dann wäre Westminster gut beraten, das auch Ernst zunehmen und sollte Verhandlungen zu einem zweiten Referendum aufnehmen. Allerdings nur unter mindestens zwei Voraussetzungen: Erstens, dass ein weiteres Referendum für einen beträchtlichen Zeitraum von mindestens 20 oder 30 Jahren ausgeschlossen wäre. ... Zweitens, dass [für die Abspaltung] eine 'Supermehrheit' - von sagen wir 60 Prozent - benötigt würde.“
Es konnte nur ein Urteil geben
Das Gerichtsverfahren war unnötig, findet Der Standard:
„Über die Union der beiden Königreiche entscheidet das Unionsparlament in London. Die Freigabe für die 2014 erfolgte Volksabstimmung über Schottlands Unabhängigkeit erteilte das Unterhaus. Das Ergebnis war mit 55 zu 45 Prozent für den Verbleib in der mittlerweile 315 Jahre alten Union mit England eindeutig. … Wahr ist aber auch: Der mit englischen Stimmen durchgesetzte Brexit mit all seinen negativen Auswirkungen und das anhaltende Tory-Chaos in London haben die politischen Rahmenbedingungen stark verändert. Das Argument, wonach das Votum von 2014 für eine Generation gelten müsse, wird von Tag zu Tag schwächer.“
Sturgeon lässt ihr Land im Stich
Sturgeon lenkt mit dem Unabhängigkeitsthema nur ab, glaubt The Times:
„Ihre nationalistische Regierung ist ein Desaster für das schottische Volk. Das Gesundheitssystem steckt in der Krise. Die Schulen, einst der Neid der ganzen Insel, gehören mit Blick auf die Lese- und Rechenfähigkeiten zu den Schlusslichtern Europas. ... Dass Sturgeon behauptet, dass die Unabhängigkeit die Lösung zu diesen selbstverursachten Problemen böte, ist eine Beleidigung. Dasselbe gilt für ihre Bitte an die Wähler, bei den Wahlen im Jahr 2024 allein über die Verfassungsfrage abzustimmen. Die schottische Wählerschaft hat das Recht, über die schlechte Bilanz der SNP zu urteilen statt über deren fabrizierte Beschwerden. Und das werden sie auch. Sturgeons Ersatzplan wird nicht aufgehen.“
Das Verbot war das Ziel
Die SNP hat zurzeit kein wirkliches Interesse an einem Referendum, glaubt die taz:
„Es ging darum, zu demonstrieren, dass sie dieses Recht nicht hat. Nur der permanente Verweis auf angebliche Benachteiligung aus London hält Schottlands SNP an der Macht. Ihre eigene Regierungsbilanz ist desaströs. ... [D]er Brexit, der immer wieder als Grund für ein neues Referendum ins Feld geführt wird, macht die Abspaltung nicht einfacher. Im Gegenteil: Mit der Rückkehr in die EU, wie es die SNP anstrebt, würde die Grenze zwischen England und Schottland zur EU-Außengrenze. Grenzkontrollen mitten auf der britischen Insel sind nicht mehrheitsfähig. Ein Unabhängigkeitsreferendum 2023 würde die SNP also verlieren. Die Verweigerung dieses Referendums stärkt sie.“
Katalonien sollte sich ein Beispiel nehmen
Die Schotten machen es besser als die Katalanen, zeigt sich ABC beeindruckt:
„Das Urteil des britischen Obersten Gerichtshofs macht deutlich, dass ein Teil nicht ohne das Ganze entscheiden kann. Sturgeon hat sich nicht nur an das Urteil gehalten, sondern stets ein legales Referendum versprochen. ... Das ist ein wesentlicher Unterschied zum katalanischen Separatismus, der es vorzog, den Obersten Gerichtshof zu verunglimpfen, offenkundig verfassungswidrige Gesetze zu verabschieden und ein illegales Referendum anzusetzen. ... Es gibt keinen Aufruf zur Rebellion. ... Mitten in einer schweren wirtschaftlichen und politischen Krise kann uns [Großbritannien] noch etwas beibringen.“