Griechenland: Ein Jahr nach Zugunglück von Tempi

Am 28. Februar 2023 waren auf der Bahnstrecke Athen-Thessaloniki beim Zusammenstoß zweier Züge 57 Menschen ums Leben gekommen. Bei der Untersuchung der Ursachen ermittelt die Justiz auch gegen mehrere Staatsbedienstete und Politiker. Über 860.000 Personen haben eine Petition, die Immunität der Regierungsmitglieder in der Sache aufzuheben, unterzeichnet. Wie steht es um die Aufarbeitung?

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Efimerida ton Syntakton (GR) /

Profitgier gefährdet weiter Menschenleben

Ein ernüchterndes Fazit zieht die Lehrerin Maria Apostolou in Efimerida ton Syntakton:

„Ein Jahr später stellen wir Folgendes fest: Anstatt bestraft zu werden, haben die Verantwortlichen in ihren Wahlkreisen sehr viele Kreuze bekommen. Ein Jahr später ist die Arroganz der Regierenden gegenüber den Angehörigen, die Gerechtigkeit für ihre Toten fordern, auf dem Höhepunkt und überschreitet alle Grenzen. Ein Jahr später sind die Eisenbahnen noch immer ein unsicheres Verkehrsmittel. ... Nach einem Jahr sollten wir unsere Toten ehren und dem Andenken an sie gerecht werden. Und wie? Die Sicherheit der Eisenbahn gewährleisten, die ein öffentliches Gut sein muss und nicht das Eigentum einer Privatperson, die in uns nur Gewinne oder Verluste sieht.“

Capital (GR) /

Verdeckte Wut nicht ignorieren

Mit Blick auf die zahlreichen Unterschriften unter der von einer Mutter einer verunglückten Frau sehr emotional formulierten Petition sollte die Regierung den Unmut der Gesellschaft ernst nehmen, rät Capital:

„Für griechische Verhältnisse ist die gerichtliche Untersuchung des Unfalls in Tempi gut angelaufen: Gegen 32 Personen wird bereits ermittelt, weitere kommen wahrscheinlich hinzu. Aber das Gefühl hat sich nicht geändert. Dieses Gefühl der Straflosigkeit und der versuchten Vertuschung. ... Premier Mitsotakis und seine Regierung begehen einen Fehler, wenn sie dieses Gefühl unterschätzen. ... Die Mobilisierung des Volkes, diese verdeckte Wut, die aus dem Petitionstext hervorgeht, sollte all jenen, die glauben, dass dieser Fall bereits vergessen ist, zumindest zu denken geben.“