Spanien: Pedro Sánchez bleibt Regierungschef

Der spanische Premier Sánchez tritt nicht zurück. Nachdem er seine Amtsgeschäfte einige Tage hatte ruhen lassen, erklärte er am Montag, dass er entschieden habe, "wenn möglich, mit noch mehr Kraft" weiterzumachen. Hintergrund ist eine Anzeige der rechten Organisation Manos Limpias wegen Korruptionsvorwürfen gegen die Ehefrau des Premiers, Begoña Gómez. Tausende Spanier hatten am Wochenende für Sánchez demonstriert und ihn aufgefordert, nicht aufzugeben.

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Der Spiegel (DE) /

Politik in Telenovela verwandelt

Für den Spiegel gibt es zwei Erklärungen für das, was in den vergangenen Tagen in der spanischen Politik passiert ist:

„Im ersten Szenario übermannte Sánchez die Sorge um seine Frau, er erwog ernsthaft einen Rücktritt. ... Im zweiten Szenario, das nun wahrscheinlicher erscheint, warf Sánchez eine Nebelkerze, um sich eine peinliche Debatte über die Geschäfte seiner Frau zu ersparen – und stattdessen die schmutzigen Methoden seiner Gegner in den Fokus der Öffentlichkeit zu rücken. Doch so oder so steht fest: Sánchez hat die spanische Politik in den vergangenen fünf Tagen in eine Telenovela verwandelt. Das bizarre Schauspiel hat ihm und seinem Amt geschadet, es war eines Ministerpräsidenten unwürdig.“

eldiario.es (ES) /

Bei der Rechten verhasster denn je

Der Chefredakteur von Eldiario.es, Ignacio Escolar, erwartet schlimme Zeiten:

„Der Premier bleibt, und zwar mit einer öffentlichen Verpflichtung: 'Unermüdlich, entschlossen und großzügig für die überfällige Erneuerung unserer Demokratie zu arbeiten'. Das ist sehr wichtig, auch wenn es noch vage klingt. ... Spanien hat ein ernstes Problem mit Falschmeldungen und Lügen. Und ein ernsthaftes Problem mit der Blockade des Richterrats und der missbräuchlichen Anwendung von Strafverfahren. Und ein Problem mit der Vergiftung des öffentlichen Lebens. ... Die Ereignisse werden enorme Folgen für die spanische Politik haben. ... Werden sie helfen, die Spannungen abzubauen? Ich fürchte nicht. ... Sánchez ist heute bei der Rechten noch verhasster als je zuvor.“

taz, die tageszeitung (DE) /

Irgendwas bleibt immer hängen

Der Spanien-Korrespondent Reiner Wandler sieht in der taz eine typische perfide Kampagne der Rechten:

„Ob gegen Unabhängigkeitspolitiker in Katalonien oder dem Baskenland, ob gegen linksalternative Politiker oder jetzt gegen Sánchez, die Rechte hat Übung in dieser Art Schmutzkampagnen. Von ihren Regionalregierungen per institutioneller Werbung finanzierte Medien erfinden Nachrichten, ultrarechte Organisationen klagen, PP und VOX-treue Richter nehmen Verfahren auf. Auch wenn fast alle irgendwann eingestellt werden, etwas bleibt immer hängen. Dass sogar die Familie mit Schmutz beworfen wird – ohne dass es irgendwelche Beweise für die Vorwürfe gibt – ist neu. Lawfare – ein Putschversuch mit Hilfe der Richter – ist das, was in Spanien läuft.“

Phileleftheros (CY) /

Die Frau als Angriffsfläche im Kampf um die Macht

Die Tageszeitung Phileleftheros schreibt:

„Es lässt sich zweifelsfrei feststellen, dass die Anschuldigungen von Manos Limpias nicht gegen Begoña Gómez, sondern auf Pedro Sanchez zielten. Es handelte sich um einen einfachen Weg, den spanischen Premier über seine Frau zu verleumden. Dies ist nicht das erste Mal, dass ein solcher Vorwurf gegen eine Frau eines Politikers erhoben wurde, ohne ihr eigenes Zutun. In der Vergangenheit kam es in vielen Fällen zu sexistischen Angriffen gegen Ehefrauen von Politikern. Ein Land kann sich folglich von einem Moment auf den anderen im Auge des Hurrikans wiederfinden. Dies ist insbesondere dann leicht möglich, wenn das politische Klima derart polarisiert ist, wie es in Spanien der Fall ist.“

Financial Times (GB) /

Es braucht klare Ethikregeln

Der Fall verweist auf ein grundlegendes Problem, moniert die spanische Juristin Miriam González Durántez in Financial Times:

„In Spanien gibt es kein wirksames System zum Umgang mit Interessenkonflikten von Familien und Ehepartnern von Politikern. Daher ist es unvermeidlich, dass dieses Thema in der politischen Arena und vor Gericht ausgetragen wird, statt in einem unauffälligen Verfahren, wo es hingehört. ... Wir haben keine Vorschriften, die die Nutzung von Dienstwohnungen oder -flugzeugen einschränken. Wir haben keine Gesetze zu Lobby-Tätigkeiten. ... Das Fehlen umfassender ethischer Regeln ist ein fortwährendes Problem in der spanischen Politik. ... Spanien braucht dringend ein neues Konzept für die Ethik im öffentlichen Leben und einen Ethikkodex für Amtsträger.“

Rzeczpospolita (PL) /

Vielleicht hatte er die internationale Bühne im Blick

Rzeczpospolita fragt sich, ob Sánchez überlegt hat, auf den Posten des EU-Ratsvorsitzes zu wechseln:

„Es ist gut möglich, dass der Regierungschef beschlossen hat, dass jetzt der perfekte Zeitpunkt für ihn ist, um seine internationale Karriere voranzutreiben. Zugegeben, in einem Land, das kaum 1,3 Prozent des BIP für die Verteidigung ausgibt, ist die Chance gering, dass er Jens Stoltenberg als Nato-Generalsekretär ablöst. In der EU sieht es jedoch ganz anders aus. Glaubt man den Umfragen, so wird die sozialistische Fraktion (S&D) nach der gemäßigten Rechten (EVP) die meisten Abgeordneten im Europaparlament stellen. Und sie wird in der Lage sein, den zweitwichtigsten Posten in der EU zu besetzen: den des Präsidenten des Europäischen Rates.“

El País (ES) /

Ein beispielloser Schritt

Für El País ist die Lage sehr ernst:

„Pedro Sánchez verweist direkt auf Santiago Abascal [Vox] und Alberto Núñez Feijóo [PP], die er in einer 'Koalition rechter und ultrarechter Interessen' mit Manos Limpias sieht, die sich in westlichen Demokratien ausbreitet. Man muss an Portugal denken und den Rücktritt von Premier António Costa, wegen Anschuldigungen der Einflussnahme. Diese wurden soeben vom Gericht zu den Akten gelegt, aber eine progressive Regierung mit absoluter Mehrheit wurde zu Fall gebracht. ... Wer glaubt, dass hinter Sánchez' Brief eine kalkulierte Strategie steckte, sollte ihn genau lesen und sehen, wie emotionsgeladen er ist. ... Wie auch immer das Ergebnis ist, Montag wird etwas passieren.“

El Mundo (ES) /

Symptom politischer Schwäche

El Mundo wirft Sánchez üble Taktik vor:

„Der Premier hat mit seiner Hochspannungsaktion die spanische Gesellschaft in Aufruhr versetzt, sie verunsichert und die für seinen Regierungsstil charakteristische Spaltung zwischen den Bürgern verschärft. ... Der Coup des Premiers ist ein Symptom offensichtlicher politischer Schwäche. Am Vorabend der katalanischen und europäischen Wahlen spielt Sánchez auf die angeblich 'beispiellosen Angriffe' einer ultrakonservativen 'Konstellation' an, um die eigentliche Ausnahmesituation zu verbergen: die eines Anführers, der die Wahlen verloren hat, dem die parlamentarische Mehrheit zum Regieren fehlt und der die Regierungsfähigkeit von extremistischen Parteien abhängig macht.“

El Periódico de Catalunya (ES) /

Schlimmster aller Politikstile

El Periódico de Catalunya ärgert sich über Sánchez:

„Die schriftliche Ankündigung des Regierungschefs, dass er eine Bedenkzeit über seinen möglichen Rücktritt einlegt, kann man nur als verantwortungslos bezeichnen. ... Dies ist nicht der richtige Zeitpunkt, die vom Premier geschaffene Situation, für die er allein verantwortlich ist, noch instabiler zu machen. ... Die Bürger sind nicht schuld an dem, was dem Premier widerfährt. ... Die Verantwortungslosigkeit einer Person darf nicht ein ganzes politisches System lähmen. Aufgeschobene Rücktritte sind die schlimmsten aller Politikstile.“