Türkei erhält Rückendeckung von Nato
Die Nato-Partner haben Ankara am Dienstag Unterstützung im "Kampf gegen den Terrorismus" zugesichert. Offizielle Kritik an den umstrittenen Angriffen auf Stellungen der PKK äußerten sie nicht. Damit lässt sich die Nato vor den Karren der Türkei spannen, bemängeln Kommentatoren und erkennen hinter dem Antiterrorkampf des türkischen Präsidenten klare innenpolitische Motive.
Türkei spannt die Nato vor ihren Karren
Die Nato hat es versäumt, die türkischen Angriffe auf Stellungen der PKK offiziell zu thematisieren, kritisiert das öffentlich-rechtliche Portal tagesschau.de: "Mit keinem Wort differenziert [Nato-Generalsekretär] Stoltenberg, welche Angriffe die Nato unterstützt und welche nicht. Ein Blankoscheck, der es dem an seinem Machterhalt interessierten türkischen Präsidenten künftig leichter macht, unter dem Deckmantel der allgemeinen Terrorbekämpfung gegen politische Gegner innerhalb und außerhalb der türkischen Grenzen mit Gewalt vorzugehen. ... Erdoğan ist jedes Mittel recht, einen unabhängigen kurdischen Staat zu verhindern, wodurch seine politischen Gegner Auftrieb bekämen. Dafür spannt er nun die Nato vor den Karren und die lässt es zu. Das Lockmittel: Die überraschende Wende der Türkei im Kampf gegen den 'Islamischen Staat'. Dass die Türkei quasi über Nacht zu einem IS-Gegner geworden ist, ist unglaubwürdig."
Erdoğan instrumentalisiert Kampf gegen PKK
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan hat den Friedensprozess mit den Kurden am Dienstag offiziell für beendet erklärt. Für ihn ist der Kampf gegen die PKK ein politisches Manöver, erläutert die liberal-konservative Neue Zürcher Zeitung: "Die gemässigten Kräfte [unter den Kurden] stehen nun unter doppeltem Druck: vonseiten der kurdischen Hardliner und vonseiten des Staates. Schon droht Erdoğan allen Politikern der prokurdischen Oppositionspartei HDP mit Repressionen, sollten sie Verbindungen zu 'terroristischen Gruppen' haben. Für den Präsidenten hat das Ganze durchaus etwas Verlockendes. In einer Atmosphäre neuer Gewalt und nationalistischer Aufwallung kann er sich als starker Mann positionieren. Sollten die Koalitionsgespräche in der Türkei wie erwartet scheitern und es zu Neuwahlen kommen, hofft Erdoğan Stimmen für seine AKP zurückzugewinnen, die zuletzt an die rechte Konkurrenz gingen. Er weiss: Auch wenn sich die PKK militärisch nicht besiegen lässt - politisch instrumentalisieren lässt sie sich allemal."
AKP klammert sich an die Macht
Mit dem Kampf gegen die Terrormiliz "Islamischer Staat" und die PKK will die Regierungspartei AKP ihre Regierungsmehrheit wiedererlangen, meint der Kolumnist und Abgeordnete der oppositionellen CHP, Mustafa Balbay in der kemalistischen Tageszeitung Cumhuriyet: "Die AKP tut alles, was man sich nur vorstellen kann, um die Macht nicht aus den Händen zu geben. Dazu zählt vor allem ihr Kampf gegen den Terror. Die Grundphilosophie dessen ist folgende: Egal, woher er kommt, was das Ziel ist oder wer ihn begeht, wir sind gegen jede Art von Terror! Nach den jüngsten Terroranschlägen wäre es Aufgabe der Regierung, die Verantwortlichen zu finden. Es ist nicht ihre Aufgabe, zu klagen und die Ereignisse für sich auszunutzen. ... Die AKP ist jedoch geneigt, die Ergebnisse der Wahlen vom 7. Juni nicht anzuerkennen und Neuwahlen durchzuführen. ... Das Parlament inklusive der zurechnungsfähigen AKP-Abgeordneten müssen dieses Spiel durchkreuzen."
Washington braucht Ankara und die Kurden
Die US-Regierung hat die türkischen Luftangriffe gegen die PKK am Dienstag als Akt der Selbstverteidigung eingestuft und die PKK als Aggressor bezeichnet. Mit dieser Haltung manövriert sich Washington in ein Dilemma, warnt die liberale Tageszeitung Phileleftheros: "Für die Amerikaner war es sehr wichtig, einen starken Partner gegen die Dschihadisten zu haben. Ohne die Kurden hätten die Dschihadisten ein noch viel größeres Territorium besetzt, als sie es getan haben. Dies hat die Kurden zu einem starken Player in den bitteren Auseinandersetzungen im Nahen Osten gemacht. Sie fühlen sich jetzt stärker und sind bereit, die Bildung eines eigenen Staates anzustreben. … Wenn der Konflikt zwischen Kurden und Türken eskaliert, werden die USA in der schwierigen Lage sein, zu entscheiden, welche Seite sie unterstützen. Das Dilemma Washingtons ist groß. Die Amerikaner brauchen die Türkei, aber auch die Kurden."