Was tun nach dem Anschlag in Halle?
Nach dem Terrorangriff in Halle sitzt der mutmaßliche Täter in Untersuchungshaft. Er hatte am Mittwoch eine Passantin und einen Mann in einem Dönerladen erschossen, nachdem er daran gescheitert war, in die örtliche Synagoge einzudringen, in der gerade Jom Kippur gefeiert wurde. Kommentatoren betreiben nach dem Anschlag nicht nur Ursachenforschung, sondern formulieren auch Schlussfolgerungen für die Politik.
Deutschland erneut unsicher für Juden
Wenig überrascht von dem Anschlag in Halle zeigt sich Pravda:
„Ex-Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) sagte einst: 'Die Radikalisierung der Sprache führt zur Radikalisierung der Taten'. Warnzeichen aus Frankreich und Belgien deuteten darauf hin, dass der Rechtsextremismus zunimmt und Extremisten nicht länger vor körperlicher Gewalt gegen Juden zurückschrecken, die in der Nachkriegszeit fast tabu war. Die Sicherheitskräfte werden jetzt vor den Synagogen in ganz Deutschland patrouillieren. Aber deutsche wie französische Juden werden ihr Land verlassen. Nach dem Angriff von Halle ist klar, dass Deutschland (erneut) kein sicheres Land für Juden ist.“
Der Groll in Ostdeutschland bricht sich Bahn
De Volkskrant nennt es bezeichnend, dass eine ostdeutsche Stadt die Bühne des Anschlags war:
„Aus deutschem Blickwinkel ist es beunruhigend, dass der Anschlag in Sachsen-Anhalt verübt wurde, einem der neuen Bundesländer. ... Und von einem Einwohner der Region. Das spiegelt die Unvollkommenheit der deutschen Einheit wider. ... In den neuen Bundesländern herrscht noch viel Groll über die feindliche Übernahme, als deren Opfer sich viele Ostdeutsche sehen. Sie fühlen sich benachteiligt von der Geschichte und der Politik der Bundesrepublik, die sie - ungeachtet der ostdeutschen Bundeskanzlerin - als ein Bollwerk der 'Wessis' sehen. Dagegen setzen sie sich zur Wehr - indem sie rechtsextreme Parteien wählen und bewaffnet gegen das 'Nie-Wieder'-Ethos der alten Bundesrepublik vorgehen.“
'Nie wieder' nutzt nichts ohne handfesten Schutz
Deutschland muss die Juden im Land besser schützen, fordert die Neue Zürcher Zeitung:
„Die Bemühungen, die Verbrechen des Nationalsozialismus zu vergegenwärtigen und in der Erinnerungskultur wachzuhalten, sind in Deutschland groß. Das 'nie wieder' wird von Lehrern und Politikern täglich verteidigt. Die große Mehrzahl der Deutschen dürfte die Botschaft verinnerlicht haben. Das Problem scheint nicht die Sensibilisierung zu sein. Die Lehre aus Halle ist eine andere. Wenn Juden in Deutschland um Schutz bitten, dann muss der Staat reagieren. Auch das gehört zum 'nie wieder'.“
Der Rechtsextremismus globalisiert sich
Das Verbrechen sollte auch im internationalen Kontext betrachtet werden, fordert das Handelsblatt:
„Der deutsche Neonazi filmte sein Verbrechen und übertrug es live im Internet, er kommentierte seine Tat auf Englisch, richtete sich so an ein internationales Publikum. Es ist offenkundig, dass er das Massaker von Christchurch nachahmen wollte, bei dem ein Rechtsextremist in zwei Moscheen eindrang und 51 Gläubige erschoss. ... Der Rechtsextremismus zeichnet eine Entwicklung nach, die der Islamismus in den 1990er Jahren vollzogen hat: Er globalisiert sich. Seine Blutspur reicht von Norwegen bis nach Neuseeland, von El Paso, Texas, bis nach Halle an der Saale.“
Hass bleibt nicht im Dunkeln
Wie eine antisemitische Tat solchen Ausmaßes in Deutschland geschehen konnte, ergründet der Kolumnist Paolo Lepri in Corriere della Sera:
„Die Institutionen haben ihre Pflicht getan, in einem Land, in dem die Erinnerung immer auch eine Warnung war. Das sollten wir Kanzlerin Merkel, ihrem Sonderbeauftragten für den Kampf gegen den Antisemitismus, Felix Klein, und - nicht zu vergessen - Deutschlands Lehrerinnen und Lehrern zugestehen. Aber es ist auch wahr, dass die dunklen Seiten der Gesellschaft oft mit etwas verwechselt wurden, von dem man annahm, es werde auch im Dunkeln bleiben. ... Es muss anerkannt werden, dass in Deutschland der antijüdische Hass nie unterschätzt wurde. Jedoch hat man den Eindruck, dass verdächtige neonazistische Zellen und ihre Verbindungen in die etablierte extreme Rechte weniger entschlossen angegangen wurden als nötig.“
Die blutigen Folgen des 'Wir schaffen das'
Für De Telegraaf liegen die Ursachen in den jüngsten politischen Entwicklungen:
„Seit 2015 wird bei jedem Anschlag auf die Aussage 'Wir schaffen das' hingewiesen, mit der Angela Merkel ihr Land zum idealen Zufluchtsort für Flüchtlinge aus Syrien und anderswo machte. Warnungen, dass sich in einer Gruppe Flüchtlinge auch Terroristen verbergen könnten, wurden mehr oder weniger ignoriert. ... Das Land machte auch einen starken Rechtsruck durch, die äußerst rechte Alternative für Deutschland (AfD) legte deutlich zu. ... Die Gefahr kommt von zwei verschiedenen Seiten, aber beide haben ihren Ursprung in Merkels 'Wir schaffen das'. Über dieses umstrittene Erbe Merkels wird in Deutschland noch lange nach jedem Anschlag diskutiert werden.“
Eine teuflische Mischung
Nicht allein in Deutschland wächst die antisemitische Gefahr, beobachtet El Mundo:
„In Europa hat der Antisemitismus auf alarmierende Weise zugenommen, wie auch die Berichte der Uno zeigen. Ein Beispiel ist der Anschlag von Dschihadisten auf das Jüdische Museum in Brüssel 2014. Gestern wurde die jüdische Gemeinde wieder Opfer, zwei Menschen starben in Halle. In der Synagoge sollte zu Jom Kippur ein Massaker angerichtet werden. ... Antisemitismus und Extremismus nehmen zu. Sie bilden eine teuflische Mischung, die von den Behörden streng kontrolliert werden muss.“