39 Tote in LKW: Was hat EU-Migrationspolitik damit zu tun?
Nordöstlich von London sind 39 Leichen in einem LKW gefunden worden. Die Polizei geht davon aus, dass es sich um Migranten handelt, die aus Bulgarien dorthin gebracht wurden - vermutlich über das walisische Holyhead. Diese Route wird offenbar aufgrund der starken Bewachung anderer Häfen verstärkt von Schleppern genutzt. Europas Presse debattiert, ob die EU-Migrationspolitik eine Rolle spielte - und wenn ja, welche.
Wann kommt Europas Einsicht?
Europa nimmt solche Vorfälle sehenden Auges in Kauf, meint die Frankfurter Rundschau:
„Seit Jahren klagen EU-Innenminister darüber, dass das Schleppergeschäft ein Milliardenmarkt ist, den sie bekämpfen wollen. Doch mit ihrer bisherigen Migrations- und Flüchtlingspolitik erreichen sie das Gegenteil: Die immer höheren Mauern an ihren Grenzen, die immer rigideren Kontrollen innerhalb sowie das Festhalten am unsinnigen Dublin-System lassen den Markt der Schmuggeldienstleistungen florieren. Begehrte Ware steigt im Preis. Wenn die EU-Innenminister mit demselben Eifer, mit dem sie die Abschottung betreiben, mehr sichere Wege, eine zeitgemäße Zuwanderungspolitik und ein Asylsystem, das seinen Namen verdient, aushandeln würden, dann würde die Nachfrage nach illegalen Einreisen sinken. Wie viele Menschen müssen noch sterben, bis die Einsicht über die falsche Migrationspolitik durchdringt?“
Nicht einmal Vieh wird so behandelt
Der LKW ist ein Schandmal für ganz Europa, klagt die Schriftstellerin Marina Corradi in Avvenire:
„38 Männer und Frauen und ein Junge wurden wie Schlachtvieh behandelt – ja nicht einmal das, denn das Vieh hat einen Wert und man sorgt dafür, dass es lebend an seinem Bestimmungsort ankommt. Diese Menschen waren nichts mehr wert, da sie die Reise bereits bezahlt hatten. ... Der LKW ist Zeichen einer Verzweiflung, die kein versperrter Mittelmeerhafen aufhalten kann, eines Drucks, der jeden möglichen Weg sucht. ... Diejenigen, die im Mittemeer ertrinken, bleiben unsichtbar. Der Anhänger, vollgeladen wie ein Viehwagen, ist hingegen ein Stachel im Herzen Europas. ... Wir glaubten nach 1945, dass in diesem Teil des Westens nie wieder Menschen so behandelt werden würden: als Materie ohne Wert, dem Tod gruppenweise ausgeliefert.“
EU muss Schlepper-Business endlich aushebeln
Schon 2000 in Dover und 2015 in Österreich wurden ähnlich grauenvolle Funde gemacht. Wie so etwas erneut passieren konnte, fragt La Croix und fährt fort:
„Dies zeugt zum einen von den unerhörten Risiken, die Migranten einzugehen bereit sind, um nach Westeuropa zu gelangen. Kein Hindernis vermag einen solchen Willen komplett zu stoppen. … Die zweite Ursache dieser Todesfälle ist der entsetzliche Zynismus der Schleppernetzwerke, die nicht davor zurückschrecken, ihre 'Kunden' Todesgefahren auszusetzen, um ihre Profite zu maximieren. Viele Politiker in Europa fordern, dass Migranten der Weg versperrt werden soll. Sehr selten werden hingegen Vorschläge vorgebracht, um die Schlepper zu bekämpfen, die stets bereit sein werden, ihre verhängnisvollen Dienste denjenigen anzubieten, die von einem besseren Dasein träumen – und dafür ihr Leben riskieren.“
Schärfere Kontrollen machen alles nur schlimmer
Auch ein härteres Vorgehen gegen Migranten und Menschenschmuggler wird derartige Katastrophen nicht verhindern können, ist The Guardian überzeugt:
„Eine reflexartige Reaktion ist, strengere Kontrollen zu fordern: mehr Sicherheitsinfrastruktur an den Grenzen und härtere Strafen für die Menschen, die versuchen, diese Reisen zu unternehmen, sowie diejenigen, die diese Reisen möglich machen. ... Doch es ist derzeit in vielen Teilen der Welt leider offensichtlich, dass es immer Menschen geben wird, die sich genötigt fühlen auszuwandern, selbst wenn die Risiken tödlich sind. Verschärfte Kontrollen zwingen die Menschen dazu, gefährlichere Routen zu wählen und ihr Leben in die Hände von Schmugglern zu legen, denen ihre Sicherheit möglicherweise gleichgültig ist oder die aktiv versuchen, sie auszunutzen.“