Corona-Krise: Von China lernen?
Nachdem die Corona-Epidemie sich von Wuhan aus ausgebreitet hatte, brachte Chinas Regierung sie mit drastischen Maßnahmen nach eigenen Angaben unter Kontrolle. Nun läuft die Wirtschaft in den betroffenen Gebieten wieder an, Peking zeigt sich als Ratgeber und schickt medizinische Hilfe in die Welt. In Politik und Presse wird kontrovers diskutiert, ob China zum Vorbild für Europa taugt.
Ohne Demokratie gedeiht die Vertuschung
Der Kurier kritisiert die Bewunderung, mit der manche Kommentatoren nun nach Fernost schauen:
„Nein, China ist nicht der Held der Krise. Das muss man auch in die Debatte werfen, die jetzt immer häufiger in aufgeklärten Systemen geführt wird: Wie weit darf/muss Demokratie hintanstehen, wenn das Gesamtwohl auf dem Spiel steht? Das ist eine gefährliche Frage. ... Straffe Maßnahmen gegen die Verbreitung des Virus: ja, vorübergehende Außerkraftsetzung einzelner Grundrechte: ja – aber alles unter den Regeln der Demokratie. ... Das Beispiel China lehrt nämlich auch: Regierende ohne demokratische Kontrolle erliegen zu leicht der Versuchung, etwas, das nicht in ihr Schöne-Welt-Konzept passt, zu vertuschen (so lange es halt geht). Daran leidet jetzt gerade die ganze Welt.“
Beziehungen zu Peking radikal überdenken
Das schändliche Verhalten Pekings in der Corona-Krise muss ernsthafte Konsequenzen haben, fordert The Daily Telegraph:
„Die Wiedereröffnung der Märkte mit lebenden Tieren, auf denen Fledermäuse und Skorpione als traditionelle Medizin angeboten werden, legen eines nahe: Chinas Herrscher haben nicht die Absicht, sich an ihre Zusage zu halten, die Märkte zu schließen, von denen das Virus vermutlich stammte. Die Reaktion der Kommunistischen Partei Chinas auf die Coronavirus-Herausforderung war auf allen Ebenen dermaßen verachtenswert, dass es in Großbritannien und anderen westlichen Ländern nach dem Ende der gegenwärtigen Krise ein radikales Umdenken in Bezug auf unsere künftigen Beziehungen zu Peking geben muss.“
Beschämendes Verhalten im Westen
Die auf Englisch erscheinende chinesische Tageszeitung Global Times weist an Peking gerichtete Schuldzuweisungen zurück:
„Einige Entscheidungsträger im Westen versuchen, China zum Sündenbock ihrer eigenen Inkompetenz zu machen. ... Doch diesen Politikern geht es allein um ihre persönlichen Interessen, im Kampf gegen das Coronavirus erweisen sie sich als unfähig. ... China zu beschuldigen, Desinformation über die Pandemie verbreitet zu haben, widerspricht dem gesunden Menschenverstand. Bereits Anfang Januar hatte China die WHO über die Epidemie informiert. ... Am 23. Januar sperrte es Wuhan ab. ... Politiker in den USA, Großbritannien und anderen Ländern sahen China gleichgültig zu, schienen sich gar über sein Unglück zu freuen. Sie blieben geradezu blind optimistisch, selbst als die Situation in Südkorea, Italien und im Iran kritisch wurde. Ihr Handeln war wirklich beschämend.“
Europa sollte vor der eigenen Tür kehren
Statt mit dem Zeigefinger auf China zu zeigen, sollte Europa den Blick darauf richten, dass auch hierzulande von einem demokratischen Wettstreit politischer Ideen plötzlich nicht mehr viel zu sehen ist, warnt die Wochenzeitung hvg:
„Es scheint so, als ob sich alles, was die demokratische Entscheidungsfindung der pluralen Gesellschaft ausgemacht hat, in Luft aufgelöst hätte. ... Den Schaden, der durch die Missachtung der Vielfalt an [in der Corona-Krise] zu berücksichtigenden Aspekten und fehlendes langfristiges Denken entsteht, wird Europa in den nächsten Monaten und Jahren bezahlen müssen. Man kann nur raten, warum das so passiert ist: vielleicht, weil die ersten Bilder vom Kampf gegen das unbekannte Virus aus China stammten. ... Nicht nur das Virus, sondern auch das Muster für dessen Abwehr haben wir von einer Diktatur bekommen.“
Nun will es China wissen
Peking wird seine Ideologie und sein Sozialmodell nun verstärkt als vorbildlich propagieren, vermutet die staatliche Nachrichtenagentur Ria Nowosti:
„Was das Coronavirus betrifft, ist heute China der sicherste Ort der Welt - und nicht jene Länder, wo es dieses angeblich noch nicht gibt. Denn die Chinesen haben gelernt, es korrekt zu diagnostizieren, seine Verbreitung zu unterbinden und es zu behandeln. Das weiß die ganze Welt. So kam China in die einmalige Position eines Landes, das fähig und willens ist, allen zu helfen, die darum bitten. ... Der erfolgreiche Kampf gegen die Epidemie wird China langfristig von Nutzen sein. Und dessen ist man sich dort wohl bewusst - weshalb man versucht, daraus allgemeingültige Formeln abzuleiten. Etwa so: Welches politische System erweist sich in Notlagen als das bessere, das chinesische oder das westliche? Die Antwort liegt auf der Hand.“
Der Kapitalismus frisst seine Kinder
Die Tageszeitung Karar wird nachdenklich angesichts des unterschiedlichen Abschneidens der Staaten bei der Eindämmung der Pandemie:
„Wie kann es sein, dass China in diesem Kampf so herausragend ist? Warum hat Südkorea es geschafft, die Epidemie mit einem Mal umzukehren? Wir haben es hier mit einem Unterschied zu tun hinsichtlich der Einstellung der Gesellschaft zu Geld und Dienstleistungen - die sich selbstverständlich auch auf die Staatsführung überträgt. ... Sie können sich dort testen lassen, und zwar umsonst. Wie sieht es damit bei uns und in vielen anderen reichen Ländern aus? Warum tragen die reichen Länder des Westens so großen Schaden davon? Weil sie den Kapitalismus so brutal durchsetzen? Oder weil sie die Interessen des Kapitals über die Interessen der Bürger stellen? Was auch immer der Grund ist, wir sehen heute ein System, das sich selbst auffrisst.“
Autoritarismus wird neue Anhänger gewinnen
Nach der Finanzkrise von 2008 droht dem Westen nun ein weiterer Schlag ins Knie, analysiert Financial Times:
„Der Glaube, dass China auf dem Vormarsch ist und der Westen unaufhaltsam im Niedergang begriffen ist, wird neue Anhänger finden. Argumente für den Autoritarismus und gegen die Demokratie werden mit größerer Kühnheit vorgebracht werden - sowohl in China als auch im Westen. ... Im Moment fühlt es sich so an, als ob China das Schlimmste hinter sich hätte, während der Ausbruch im Westen gerade erst beginnt. Die letzte globale Krise, der finanzielle Zusammenbruch von 2008, führte zu einem Verlust des Selbstbewusstseins im Westen und einer Verlagerung der politischen und wirtschaftlichen Macht Richtung China. Die Coronavirus-Krise von 2020 könnte eine noch viel größere derartige Verschiebung nach sich ziehen.“
Ansehen der Demokratie steht auf dem Spiel
Onet.pl sieht liberale Gesellschaften in Gefahr:
„Es ist bereits der Eindruck entstanden, dass Demokratien nicht in der Lage sind, eine dynamische wirtschaftliche Entwicklung zu garantieren und die wachsenden, drastischen sozialen Ungleichheiten einzudämmen. Wenn sich nun auch noch herausstellt, dass sie in einer Situation, in der das Leben und die Gesundheit der Bürger bedroht sind, weniger wirksam agieren als autoritäre Länder, dann wird ihr Ansehen unweigerlich leiden. ... Die liberalen Demokratien in Europa müssen wieder an Stärke und Entschlossenheit gewinnen, um zu bestehen. Politiker müssen lernen zu führen, und nicht, der Menge zu folgen.“
Peking ist erstaunlich dreist
Die chinesische Selbstbeweihräucherung geht Lidové noviny gegen den Strich:
„Wer in China [kurz nach dem Auftreten des Corona-Virus] von einer gefährlichen Krankheit sprach, bekam es mit der Polizei zu tun. Das Gesundheitssystem war nicht vorbereitet, was zur Ausbreitung des Virus beitrug. Unklar ist zudem, wie lange die herrschende Kommunistische Partei die Epidemie tatsächlich im Griff haben wird. Die Lage zu beschönigen, kann zu einem neuen Ausbruch führen. China beweist Chuzpe, wenn es sich lobt, dass die eigenen Erfahrungen jetzt der ganzen Welt helfen. Immerhin handelt es sich um ein Problem, das Peking erst geschaffen und dann in die ganze Welt exportiert hat.“