Terror: Hält Frankreich der Belastungsprobe stand?
Nach der Tötung des Lehrers Samuel Paty hat Präsident Macron von einem "bösartigen islamistischen Terroranschlag" gesprochen und angekündigt, härter gegen radikale Islamisten vorzugehen. Paty wurde ermordet, nachdem er einige Zeit zuvor im Unterricht Mohammed-Karikaturen besprochen hatte. Beobachter skizzieren, vor welche Herausforderungen der Anschlag Frankreich stellt.
Lehrer verteidigen erneut das Fundament des Landes
Nicht zum ersten Mal stehen die Pädagogen des Landes im Kampf gegen religiöse Fanatiker an vorderster Front, erinnert The Guardian:
„Seit die Dritte Republik in den frühen 1880er-Jahren der Kirche die Hoheit über die Bildung entriss und diese frei, verpflichtend und säkular machte, bildete die friedliche Infanterie der Lehrer das Fundament der Französischen Republik. ... Dank ihnen wurde die Religion in den spirituellen Bereich verbannt. Es waren die Pädagogen, die erfolgreich die Bemühungen der Kirche vereitelten, in Frankreich politisch mitzubestimmen. ... Ein Jahrhundert, nachdem sie dazu beigetragen haben, die Einmischung der Religion in unser öffentliches Leben zurückzudrängen, befinden sich die französischen Lehrer an der Spitze eines neuen Kampfes gegen den Obskurantismus.“
Keine Zugeständnisse an Fanatiker
Dagens Nyheter appelliert, den Islam wie jede andere Religion zu behandeln:
„Ist es gerechtfertigt, beispielsweise kränkende Bilder auf Regierungsgebäude zu projizieren [wie die Mohammed-Karikaturen von Charlie Hebdo bei einer Demonstration in Paris]? Ja, das kann gerechtfertigt sein - als Zeichen dafür, dass die Meinungsfreiheit jetzt in Gefahr ist und dass diejenigen, die sie nutzen wollen, die volle Unterstützung des Staates haben. Was den Islam und andere Religionen betrifft, darf die aggressive Minderheit, die die Meinungsfreiheit einschränken will, niemals gewinnen. Ihnen Zugeständnisse zu machen, wäre auch ein Verrat an den vielen Gläubigen, die Rede- und Religionsfreiheit als unverzichtbare Werte betrachten. Den Islam wie jeden anderen Glauben zu behandeln, ist eine Selbstverständlichkeit. Das würde sowohl die Religionskritiker als auch die Religionsfanatiker entwaffnen.“
Land der Menschenrechte in der Falle der Angst
Frankreich traut sich nicht, entschieden gegen islamistische Bewegungen und ihr Gedankengut vorzugehen, meint der Dramaturg Matei Vișniec in Dilema Veche:
„Im Land der Menschenrechte hat sich leider die Angst breit gemacht. Mir fällt das auf, weil in den Repertoires der Theater Stücke zu Islamisierung und islamistischer Indoktrinierung Fehlanzeige sind. Auch gibt es keine Filme darüber, so als würde sie jemand verbieten. Romane zu diesem Thema erreichen kein breites Publikum, außer sie kommen von Michel Houellebecq, und das reicht eben nicht. Die Selbstzensur schafft Monster, während das politisch korrekte Denken die Brandmarkung des islamistischen Faschismus lähmt. Der Kampf gegen diesen Feind wird wohl lange dauern und kann nur unter einer Bedingung gewonnen werden: Er muss beginnen.“
Säkularismus wird mit Verfall gleichgesetzt
Efimerida ton Syntakton sieht die Anziehungskraft der französischen Demokratie ausgehöhlt:
„Kann Frankreich mit seinen ständigen sozialstaatlichen Kürzungen und den stetig wachsenden gesellschaftlichen Ungleichheiten noch die Anziehungskraft und Brillanz eines neuen Heimatlandes haben, das es für die erste Generation von Muslimen hatte? ... Das Modell des säkularen Staates mit seinen Wurzeln in der Aufklärung und der Französischen Revolution war selbst für die nationalen Befreiungsbewegungen, die die Unabhängigkeit von Frankreich beanspruchten, ein Vorbild. ... Heute wird im ehemals französischen Nordafrika der säkulare Staat mit wirtschaftlichem Elend und staatlichem Verfall verbunden. ... So findet sowohl in Frankreich als auch in den Maghreb-Ländern der extreme Fundamentalismus, der Islamofaschismus, fruchtbaren Boden.“
Demokratie muss ihre Werte hoch halten
Menschen, die sich dem Islamismus entgegenstellen, brauchen auch in Dänemark Unterstützung, betont Berlingske:
„Am Wochenende schrieb eine Lehrerin auf Facebook, sie werde ebenfalls die Mohammed-Karikaturen im Unterricht nutzen - sofort erhielt sie Gewaltdrohungen. Das zeigt, dass die demokratische Gesellschaft ihre Werte hoch halten und alles tun muss, um jene zu schützen, die an vorderster Front Islamisten gegenüberstehen. Unsere Lehrer dürfen nicht im Stich gelassen werden, und wir müssen auf der Hut vor Selbstzensur sein, die aus Angst erwachsen kann. ... Religiöse Autoritäten müssen immer aufs Neue betonen, dass Religionskritik in freien Gesellschaften zulässig ist. ... Dänische Imame und Moscheen sollten Samuel Paty ehren und seinen Tod eine grausame Mahnung dafür sein lassen, wie Religion niemals missbraucht werden darf.“
Gesellschaftlichen Zusammenhalt retten
Macron hat am Abend nach dem Lehrermord betont, dass es den Terroristen nicht gelingen wird, die französische Gesellschaft zu spalten. Schön wäre es, seufzt Soziologe Jean-François Mignot in Telos:
„Der Kern des Problems ist, dass 'wir' beim Thema Blasphemie bereits tief gespalten sind. Und die Islamisten wissen das und arbeiten aktiv auf eine Vertiefung dieser Spaltungen hin, mit dem Ziel, in Frankreich, im Westen und in der Welt ihr theokratisches, antidemokratisches und antiliberales Ideal durchzusetzen. Wenn wir unsere Gedanken-, Meinungs- und Lehrfreiheit und das, was von unserem sozialen und nationalen Zusammenhalt noch übrig ist, retten wollen, muss durchgreifend und schnell gehandelt werden. … Die Schule muss dabei eine zentrale Rolle übernehmen - wobei die Lehrer dabei nicht, wie allzu oft, allein gelassen werden dürfen.“
Radikaler Säkularismus ist fatal
Ria Nowosti wirft dem französischen Staat vor, Redefreiheit und Säkularismus zu radikal zu vertreten:
„Es ist ironisch und traurig zugleich, dass alle drei Seiten dieser Konfrontation letztlich mit einer Sprache sprechen - der des Radikalismus. Es gibt keinen prinzipiellen Unterschied mehr zwischen islamischem Radikalismus, links-politkorrektem Liberalismus und dem Säkularismus in Extremform, wie ihn aktuell der französische Staat praktiziert. Zur Lösung eines lange herangereiften, ernsten Problems greift Frankreich zu den gleichen maximal groben Gehirnwäschemethoden wie die Islamisten - allerdings mit weitaus geringeren Aussichten auf Wirkung. Diese vom Westen verfolgte Konzeption wird noch fatale Folgen haben.“
Zensur ist keine Lösung
Frankreichs Innenminister Gérald Darmanin hat angekündigt, Organisationen zu verbieten, die online islamistische Ideen verbreiten. Das ist gefährlich, warnt NRC Handelsblad:
„Es ist verständlich, dass der französische Staat Organisationen überprüft, die per Internet das Feuer schüren. Aber von vornherein anzukündigen, diese verbieten zu wollen, verstößt genau gegen die Werte, die man verteidigen will. Jetzt müssen vorrangig Lehrer unterstützt werden, die sich um ihren Spielraum Sorgen machen. ... Der Unterricht ist der Ort, wo unterschiedslos jeder unabhängig lernen können muss - lernen, genau hinzuschauen und zu denken. Dazu gehört selbstverständlich auch die Konfrontation mit unerwünschten Bildern und Texten.“
Schule steht für alles, was Terroristen hassen
Libération ruft zur Verteidigung des säkularen Bildungssystems auf:
„Die Schule traf es am Freitagabend mitten ins Herz. Und es steht außer Frage, dass wir sie jetzt mehr denn je lieben, verwöhnen und beschützen müssen. ... Die Schule steht für das, was Terroristen verabscheuen: die Freiheit der Meinungsäußerung, Wissen, Wissenschaft, Debatte, Teilen, Kultur, das Erlernen des freien Willens, das Akzeptieren von Kritik, das Zusammenleben trotz unserer Unterschiede, Bücher statt des einen Buches, wie auch immer es heißen mag. All dies ist es, was der islamistische Terrorist von Conflans-Sainte-Honorine angegriffen hat, und all dies müssen wir heute mehr denn je schützen, um gegen Obskurantismus, Fanatismus und Barbarei zu kämpfen.“
Für Islamisten kommt Lehre nur von Gott
Die Schule ist leider dazu bestimmt, Schauplatz des Konflikts zwischen säkularen Gesellschaften und Islamisten zu werden, befürchtet auch Kolumnist Ezio Mauro in La Repubblica, denn sie ist
„eine neutrale, bürgerliche Institution, die allen eine gemeinsame Vorstellung von der Welt, in der wir leben und dem Land, in dem wir wohnen, vermitteln soll. ... Aber für den radikalen Islamismus ist die einzig wahre Lehre das Wort Gottes, das direkt vom Himmel herabkommt. ... Diese Lehre lässt sich nicht an die allgemeine Moral und die zivilen Praktiken anpassen, die sie in Schulen, Gerichten und im Zusammenleben übersetzen. Für die französische Tradition hingegen ist die Schule seit 1905 der republikanische Schmelztiegel, das Herz der Säkularität des Staates, die die Wände der Klassenzimmer kahl will, damit Wissen und Gewissen der Schüler in Freiheit wachsen und nicht unter dem Blick eines welchen Gottes auch immer.“
Wer Meinungsfreiheit lebt, zahlt hohen Preis
Angst um Leib und Leben lässt Islamkritik nicht nur in Frankreich ersticken, betont Expressen:
„Das Risiko, dass sich Selbstzensur ausbreitet, ist offensichtlich. ... In Schweden lebt der Künstler Lars Vilks [der Mohammed als Hund dargestellt hatte] seit 13 Jahren in akuter Lebensgefahr, seit Dezember 2010 hat er Personenschutz. Das sagt etwas aus über den hohen Preis, den Menschen bezahlen, wenn sie bereit sind, Extremisten zu provozieren. Nennenswerte Unterstützung bekommt Vilks nicht. Die Kulturszene hält Abstand und Nachbarn haben sich darüber beschwert, dass er in ihrer Nähe wohnt. ... In der Theorie loben fast alle die Meinungsfreiheit, in der Praxis darf sie allerdings nicht zu teuer werden. Der Terroranschlag in Frankreich geht auch uns an.“
Moderaten Muslimen den Rücken stärken
Im Kampf gegen den Islamismus ist Rückhalt für den gemäßigten Flügel des Islam essenziell, erinnert die Politikwissenschaftlerin Ayaan Hirsi Ali in The Spectator:
„Vielleicht könnte Emmanuel Macron jenen französischen Muslimen Sicherheit und Unterstützung bieten, die sich mutig gegen den radikalen Islam aussprechen? Er könnte auch jenen Anhängern des Islam Rückhalt bieten, die versuchen, die Scharia zu modifizieren, die Sunna als Richtschnur muslimischer Lebensweise historisch zu kontextualisieren und eine sinnvolle Grenze zwischen Religion und Staat herzustellen, indem sie die Reinheit der Lehre in Frage stellen. Bei der Bekämpfung der Extremisten ist es wichtig, zwischen Muslimen, die auf echte Veränderung drängen, und eloquenten Islamisten zu unterscheiden. Sehr viele französische Muslime kämpfen gegen die Islamisten, und Macron könnte weit mehr tun, um sie zu unterstützen.“
Die einsamen Wölfe erwachen
Die grausame Tat wird Nachahmer finden, fürchtet Ovidiu Raețchi, der für die nationalliberale PNL im Parlament sitzt, in Adevărul:
„Auch wenn der Mord nahe Paris kein systemischer Terrorakt ist, weil er nicht von einer Organisation aus dem Nahen Osten koordiniert wurde, ist er doch für die Veränderung des Dschihadismus in den vergangenen Jahrzehnten bedeutsam. Es ist genau die Art von spontaner Aktion, die eine Unmenge an Energie und Zellen aktiviert, die nach dem fatalen Schlag, den der IS in Syrien erhalten hat, noch schlafen. Die Karikaturen von Charlie Hebdo sind extrem effizient, um radikale Strukturen zu mobilisieren, die nur nach Gründen dafür suchen. Daher müssen wir damit rechnen, dass wir neue Aktionen von einsamen Wölfen in Europa erleben werden, die durch die Enthauptung Samuel Patys angestachelt werden.“