Was verrät die Präsidentschaftswahl über Portugal?
Portugals neuer Präsident ist der alte: Marcelo Rebelo de Sousa. Mit 60,7 Prozent wurde der Konservative am Sonntag im Amt bestätigt. Für Beobachter ein Ausdruck des Wunsches nach Stabilität und Zusammenhalt, der sich auch im problemlosen Ablauf der Wahl widerspiegle. Sorge bereitet einigen Journalisten das Ergebnis des rechtsextremen André Ventura, der mit 11,9 Prozent auf den dritten Platz kam.
Sehnsucht nach Wärme
Rebelo de Sousa steht bei den Wählern offenbar für Gemeinsinn, analysiert die Süddeutsche Zeitung:
„Man will keinen Streit in schweren Zeiten, ein typisches Wahlverhalten in Portugal, das sich auch schon während der Euro-Krise zeigte. Zu Beginn des Halbjahres der portugiesischen EU-Ratspräsidentschaft besitzt diese Botschaft besondere Symbolkraft. Man hält zusammen in schlechten Zeiten. Rebelo de Sousa steht darüber hinaus noch für etwas anderes, wonach die Menschen in Zeiten der Abstandsgebote Sehnsucht haben: menschliche Nähe und Wärme. Zwei mehr als angemessene Signale, die die Portugiesen da an Europa aussenden.“
Vorbildliche Bürger, altmodisches System
Diário de Notícias lobt die Wähler - und bedauert, dass eine wirklich hohe Wahlbeteiligung verhindert wurde:
„In einer außergewöhnlichen Situation, die ein Risiko für die öffentliche Gesundheit darstellt, verhielten sich die Portugiesen rücksichtsvoll, warteten in der Schlange, benutzten Maske und eigenen Stift und hielten die erforderlichen Abstände ein. ... Der Aufwand für die Bürger hätte aber verringert werden können, wenn eine Abstimmung zudem elektronisch und brieflich möglich gewesen wäre, sowie persönlich auch in jedem beliebigen Wahllokal und nicht nur in dem, dem man zugeteilt wurde. Im dritten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts versteht man die Hartnäckigkeit der Parteien nicht, ein archaisches Wahlsystem aufrechterhalten zu wollen. Seit Jahren stehen technologische Instrumente zur Verfügung, die eine sichere Abstimmung von jedem Ort aus ermöglichen - was die Wahlbeteiligung sicherlich erhöhen würde.“
Da kann man sich eine dicke Scheibe von abschneiden
In Spanien, wo die Parteien gerade darüber streiten, ob die katalanischen Regionalwahlen verschoben werden müssen, darf man neidisch auf das Nachbarland sein, findet El País:
„Die Wahlen waren nicht nur von der Extremsituation der Pandemie gekennzeichnet, sondern auch von einem vorbildlichen Klima des politischen Verständnisses und der institutionellen Zusammenarbeit. Damit zeigt das Land wieder einmal, dass es versteht, auf eine Art und Weise Politik zu betreiben, die viel mehr im Dienste des Bürgerinteresses steht als an anderen, von radikaler Polarisierung geprägten Orten Europas.“
Gefährlicher Aufstieg der Rechtsextremen
Jornal Económico hingegen will das Wahlergebnis nicht feiern:
„Auch wenn er auf dem dritten Platz lag, war André Ventura ohne Zweifel der zweite große Gewinner dieser Wahl. Wenn es [seiner Partei] Chega gelingt, das gestrige Ergebnis bei den Parlamentswahlen zu wiederholen, wird sie danach mit fast 20 Abgeordneten vertreten sein. Chega wird eine unvermeidliche Kraft auf der rechten Seite sein. … Der Aufstieg Venturas bringt die [sozialdemokratische] PSD in eine unangenehme Situation, in der sie entscheiden muss, ob sie ein Bündnis mit der extremen Rechten schließen will, um so an die Macht zurückzukehren.“