Duma-Wahl: Putins Partei erfolgreicher als gedacht
Putins Partei Einiges Russland hat bei der Duma-Wahl nach offizieller Zählung 49,8 Prozent bekommen. Zusammen mit den Direktmandaten hat sie wieder eine verfassungsgebende Mehrheit inne. In Europas Presse glaubt kaum jemand, dass dieser Sieg ohne Wahlbetrug zustande gekommen ist. Welche Konsequenzen ergeben sich daraus in Russland wie auch international?
Keine Chance für Demonstrationen
Öffentliche Proteste gegen das Wahlergebnis sind kaum zu erwarten, erklärt hvg:
„Aufgrund des Fehlens einer echten Opposition können sich in St. Petersburg und Moskau die großen Demonstrationen des vergangenen Jahrzehnts kaum wiederholen. Die bisherigen Organisatoren sitzen hinter Gittern oder sind ins Ausland geflüchtet. Auch gegen eventuelle Teilnehmer treten die Behörden härter auf, zum Beispiel werden sie beschuldigt, extremistisch zu sein. ... Auch ist klar, dass das Putin-Regime keine Demonstrationen erlauben wird. Aktuell kann man dies sogar mit der Pandemielage begründen, denn täglich werden etwa 20.000 Neuinfektionen registriert.“
Der Kreml wird nach innen und außen aggressiver
Observador fordert eine EU-Strategie gegenüber einem immer totalitärer auftretenden Russland:
„Es ist sehr wahrscheinlich, dass die russische Außenpolitik offensiver und aggressiver wird. Der immer weniger diplomatisch auftretende Sergei Lawrow, Außenminister und in die Duma gewählter Abgeordneter, wird seinen Sitz im Unterhaus sicherlich nicht besetzen, sondern sein Amt weiterführen … Die EU sollte dringend eine ernsthafte und dauerhafte Strategie gegenüber Moskau ausarbeiten. Das ist noch wichtiger geworden, da die USA und Großbritannien andere Prioritäten verfolgen. Auf interner Ebene werden repressive Maßnahmen weiter zunehmen und die Zahl der politischen Gefangenen ansteigen lassen, die bereits jetzt höher ist als zur Zeit Breschnews. Auch die Zensur nimmt immer mehr zu.“
Google und Apple machen sich zu Putins Helfern
Die Enttäuschung der Opposition rührt nicht so sehr daher, dass es offenbar Wahlbetrug gegeben hat, beobachtet The Irish Times:
„Was sie wesentlich mehr erschütterte, war, wie sich Google und Apple dem Druck Russlands am Vorabend der Wahl beugten, als sie die Smart-Voting-App blockierten und eine ganze Reihe von Kandidaten, die von Nawalny unterstützt werden, von Google auf Youtube entfernt wurden - wo Millionen Russen dessen Enthüllungen zu Bestechungen auf oberster Ebene angesehen hatten. Die US-Tech-Giganten haben beschlossen, dass freie Meinungsäußerung weniger wert ist als der Zugang zum russischen Markt. Putins Gegner müssen nun mit noch weniger Waffen gegen ihn kämpfen und werden noch ein bisschen weniger Vertrauen in den Westen haben.“
Generalprobe fürs Präsidenten-Abnicken
Echo Moskwy sieht ein von oben angeordnetes Demokratie-Theater:
„Die Dumawahlen waren eine Übung, eine Theaterprobe für die echten Wahlen. Die werden in drei Jahren sein, wenn man Putin erneut ins Amt des Putins wählen wird. Dann werden uns die gegenwärtigen Spielchen wie eine Party mit Animateuren erscheinen. Denn wie sieht es aus? Die reale Opposition wurde ins Gefängnis, in die Emigration oder in Plattenbauküchen gejagt. Und die Pappopposition verkrümmt sich in dienstfertiger Pose. Die Presse ist zum Volksfeind erklärt. ... Die Mehrheit der Bevölkerung steht brav an den Urnen an, lebt von Zahltag zu Zahltag und denkt nicht an Politik, weil das Kilo Buchweizen jetzt schon über hundert Rubel kostet. Proteste sind nicht abzusehen.“
Systematische Demokratieverhinderung
Lokale Wahlbeobachter haben zahlreiche Unregelmäßigkeiten festgestellt, erläutert Postimees:
„Noch letzte Woche haben Optimisten geglaubt, dass die Machtpartei mit der schrumpfenden Popularität die konstitutionelle Mehrheit verlieren würde. Den ersten Gegenschlag führte die 'kontrollierte Demokratie' im Kreml am Vorabend der Wahlen aus: Apple und Google entfernten die App der 'smarten Wahl' [die vor allem Nawalnys Unterstützer verwendeten] aus dem Appstore und Google Play. ... Seit Jahrzehnten entfernt sich Russland von freien und ehrlichen Wahlen, trotz der Pflicht durch die Mitgliedschaft in der OSZE und dem Europarat. Demokratieexport nach Afghanistan war kulturell nicht möglich. Demokratie in Russland ist kulturell sehr wohl möglich, das einzige Hindernis ist die autoritäre Macht.“
Frischzellenkur für ein gestärktes Parlament
Laut Ria Nowosti bringen diese Wahlen doch einige Neuerungen:
„Das Hauptergebnis ist, dass in der Duma nun sehr viele neue Leute sitzen werden. Weniger, weil eine im letzten Jahr gegründete Partei dieses Namens [Neue Leute] unerwartet die Fünf-Prozent-Hürde genommen hat, sondern weil sich die Fraktion von 'Einiges Russland' faktisch zur Hälfte erneuert. ... Die neue Duma ist linker geworden, obwohl die klassische Links-Rechts-Unterteilung schon lange veraltet ist. ... Diese linkere Fünf-Parteien-Duma wird auch dank der letztjährigen Verfassungsänderungen einflussreicher sein. Sie wird die Minister und Vizepremiers bestätigen, ihr Einfluss auf die Exekutive wächst also - ebenso wie die Verantwortung der Regierung vor dem Parlament.“
Brüssel muss Rückgrat zeigen
Die EU sollte gegebenenfalls den Mut haben, das Resultat nicht anzuerkennen, fordert Ilta-Sanomat:
„Das EU-Parlament hatte kurz vor den Wahlen eine Resolution verabschiedet, in der es unter anderem die EU-Staaten auffordert, das neugewählte russische Parlament nicht anzuerkennen, wenn es bei der Wahl Verstöße gegen Demokratie und internationales Recht geben sollte. .... Die außenpolitische Führung der EU muss entscheiden, ob sie die endgültigen Ergebnisse kommentarlos akzeptiert - oder ob es Konsequenzen für Russland geben wird. Als Alexander Lukaschenka im August 2020 die Präsidentschaftswahl in Belarus dreist fälschte, bewiesen die EU-Mitgliedstaaten genug Rückgrat.“
Menschen zieht es in Demokratien
Der Wahlausgang wird zu einer weiteren Ausreisewelle führen, prognostiziert das Handelsblatt:
„Putin, der sein Land ökonomisch weiter in eine Sackgasse führt, vertreibt mit diesem Kurs immer mehr seiner Landsleute, die als gut ausgebildete, freiheitsliebende Fachkräfte im Ausland mit Kusshand genommen werden. Europa sollte sie mit offenen Armen empfangen. Diese Menschen werden hier gebraucht, und wir sollten sie schätzen. Für Russland selbst ist der Aderlass schlimm, aber die logische Folge des repressiven und wirtschaftlich verheerenden Kurses des Kremls. Wer dies wieder für übliches Russland-Bashing hält, sollte einen Fakt anerkennen. Die Auswanderungszahlen sprechen eine eindeutige Sprache: Menschen zieht es in Demokratien - Exilanten gehen nie in Diktaturen.“
Ein Wunschresultat
Das Ergebnis kommt dem Kreml ja genau wie gerufen, spottet Corriere della Sera:
„Putins Partei wird die Wahlen mit einem landesweiten Prozentsatz gewinnen, um die 45 Prozent, der von den Kreml-Strategen schon lange im Voraus als 'wünschenswert' bezeichnet worden war. Zusammen mit weiteren 45 Prozent, nämlich denen der Wahlbeteiligung. Die beiden Zahlen, die wie ein Mantra wiederholt wurden, um dann gedämpft zu werden, für den Fall, dass die Dinge nicht wie geplant laufen sollten, waren die richtigen: genug Sitze, um Wladimir Putin die Kontrolle über die Duma, das Unterhaus, zu sichern. Mindestens 240. Kein zu hoher Sieg, um den Vorwürfen des Betrugs und der Wahlfälschung zu begegnen.“
Linke Konzepte auch in Russland im Aufwind
Laut ersten Auszählungsergebnissen haben die Kommunisten vergleichsweise stark abgeschnitten. Das bestätigt einen gesamteuropäischen Trend, meint The Independent:
„In Norwegen, in Deutschland und auch in Großbritannien, wo Boris Johnson viele wirtschaftspolitische Konzepte übernommen hat, die großen staatlichen Einfluss vorsehen und sonst eher mit Labour in Verbindung gebracht werden, scheinen ökonomische Konzepte der Linken wieder aufzuleben. Das könnte den Auswirkungen der Pandemie geschuldet sein, breitere wirtschaftspolitische Strömungen widerspiegeln oder ein Bemühen sein, fest verankerte Machtstrukturen infrage zu stellen. Jedenfalls könnte eine Botschaft der Duma-Wahlen sein, dass die Russen heute nicht so anders oder losgelöst vom Rest Europas sind, wie der Rest Europas oft denkt.“
Jeder kämpft für sich
Die Moskau-Korrespondentin der Süddeutschen Zeitung, Silke Bigalke, bedauert, dass die russischen Oppositionellen den real existierenden Unmut gegen den Kreml nicht stärker für sich nutzen:
„Das Angebot von Alexej Nawalny beispielsweise ist kein echtes politisches Programm, er organisiert lediglich Proteststimmen. Die Behörden haben dem inhaftierten Kremlkritiker zwar kaum eine Alternative gelassen. Allerdings gäbe es durchaus demokratische Kräfte in Russland, mit denen sich Nawalnys Team verbünden könnte. Doch in der ohnehin zerrupften russischen Opposition kämpft seit Jahren jeder für sich. Den Menschen, die bereit wären, gegen den Kreml zu stimmen, kann das kaum Mut machen.“
Schleichende Annexion des Donbass
Die Bewohner der ukrainischen Gebiete, die nicht von Kyjiw kontrolliert werden, durften die Duma mitwählen - ein heikler Schritt, meint Kolumnist Witali Portnikow auf Radio Swoboda:
„Jetzt kann man schon sagen, dass Putin 'seine DDR' im modernen Russland geschaffen hat. … Die Liste derjenigen, die gewählt werden können, ist nun deutlich verkürzt. Gleichzeitig ist der Kreis der Wähler außerhalb Russlands erweitert worden. Zu den Inhabern eines russischen Passes auf der Krim, Abchasien, Südossetien und Transnistrien kommen nun auch Bewohner der von Russland besetzten Gebiete Donezk und Luhansk (ORDLO) hinzu. Das zeigt erneut, dass der Kreml diese Wahlen auch als Instrument zu einer 'schleichenden Annexion' fremder Länder einsetzt.“