Rezession in Deutschland: Das sagt Europas Presse

Deutschland steckt in einer Konjunkturkrise: Der Internationale Währungsfonds (IWF) erwartet in seiner jüngsten Wachstumsprognose, dass die Wirtschaft des Landes im Jahr 2023 um 0,3 Prozent schrumpfen wird. Während andere Staaten im Euroraum immerhin leicht wachsen, liegt Deutschland damit an letzter Stelle unter den untersuchten Volkswirtschaften. Europas Presse macht sich Sorgen und sucht nach Gründen.

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ABC (ES) /

Fachkräftemangel und zu viel Bürokratie

ABC ist besorgt:

„Das Vorbild in Sachen Industriewirtschaft ist angezählt. Der Rückgang der Produktion im Juni (1,5 Prozent) war dreimal so hoch wie erwartet, wobei die mächtige Autoindustrie um 3,5 Prozent einbrach. ... 'Das ist der Beginn der Deindustrialisierung', warnte eines der renommiertesten Wirtschaftsinstitute des Landes. ... Der Ursprung der Krise liegt in den steigenden Energiekosten, die ein wichtiger Faktor für die Entscheidungen der Industrie sind und die Unternehmen dazu veranlassen, ihre Standorte zu verlagern, um wettbewerbsfähigere Produktionsstätten zu finden. Der Mangel an qualifizierten Arbeitskräften sowie bürokratische und ordnungspolitische Auswüchse sind zwei weitere Gründe.“

Kleine Zeitung (AT) /

Zu lange auf Lorbeeren ausgeruht

Die Kleine Zeitung führt die Wirtschaftskrise auf die Selbstzufriedenheit der Merkel-Jahre zurück:

„Billige Energie plus niedrige Löhne und starker Export schaffen Wohlstand – die klassische Erfolgsformel im Wirtschaftswunderland funktioniert nicht mehr. ... Deutschland hat sich in den Merkel-Jahren ausgeruht auf den Erfolgen. Das Land ließ sich für seine schwarze Null und Etatüberschüsse feiern. Investitionen in die Zukunft unterblieben. Die marode Infrastruktur von Straßen und Bahnstrecken ist dafür nur ein Indikator. Und Finanzminister Christian Lindner streicht in Zeiten der schwächelnden Wirtschaft und sinkender Steuern den Haushalt zusammen. Er kürzt ausgerechnet bei der Digitalisierung. Es steht nicht gut um Deutschland.“

Neue Zürcher Zeitung (CH) /

Das wird eine harte Landung

Die Bevölkerung wird die Rezession noch zu spüren bekommen, warnt die Neue Zürcher Zeitung:

„Eigentlich steckt Deutschland gerade in der schlechtesten aller Welten: in einer Stagflation. Seine Wirtschaft schrumpft oder stagniert bereits seit dem vierten Quartal des vergangenen Jahres. Gleichzeitig bleibt die Inflation mit zuletzt annualisiert 6,5 Prozent viel zu hoch. Doch während die Menschen in einer solchen Lage üblicherweise unter Arbeitsplatzverlust und herben Reallohneinbussen leiden, merken die meisten Deutschen bis jetzt nicht allzu viel davon. ... Beunruhigen muss jedoch, dass einiges darauf hindeutet, dass der Schmerz des konjunkturellen Bremsmanövers diesmal einfach erst mit mehr Verzögerung spürbar wird.“

Frankfurter Allgemeine Zeitung (DE) /

Krisengeheul als Weckruf nutzen

Die Lage ist nicht so düster, wie sie derzeit dargestellt wird, meint die Frankfurter Allgemeine Zeitung:

„Ja, Deutschland steckt in einer ernsten Rezession ... . Aber der Zusammenbruch steht nicht bevor und der Ruf nach Krisengipfeln im Kanzleramt zeugt nicht von einem tieferen Verständnis der Konjunktur. Die gute Nachricht: Auch die deutsche Volkswirtschaft hat Wachstumspotential. Es ist geringer als früher, aber es existiert. ... Das heißt aber natürlich nicht, dass die Regierung die Hände in den Schoß legen kann. ... Reformen wie das Fachkräfteeinwanderungsgesetz oder das noch immer nicht beschlossene Planungsbeschleunigungsgesetz sind ... zu halbherzig. ... Wenn das Krisengeheul als Weckruf dafür taugt, dann haben die täglichen Alarmrufe zumindest noch ihr Gutes.“

Neatkarīgā (LV) /

Die EZB als Bremsklotz

Neatkarīgā sieht einen Grund für die schwachen Wachstumsdaten in Europa:

„In der Eurozone mehren sich Stimmen gegen die dramatische Zinserhöhungspolitik der EZB, die zwar nicht wirklich zur Inflationsbekämpfung beiträgt, die europäische Wirtschaft dagegen erfolgreich bremst. In Lettland wiederum ist zu beobachten, dass dank der überwiegenden Mehrheit der Kredite, die an die Interbank-Euribor-Sätze der Eurozone gekoppelt sind, die wiederum von den Basiszinssätzen der EZB abhängen, die Gewinne der Geschäftsbanken stark wachsen, wodurch das BIP formal gesteigert wird. Der Rest der Wirtschaft gerät jedoch aufgrund einer deutlichen Verteuerung der Kredite ins Stocken.“