Rüstung und Verteidigung: EU will sich neu aufstellen

Die EU-Kommission hat vergangene Woche ihre Strategie und einen Gesetzesvorschlag für die europäische Rüstungsindustrie vorgestellt. Geplant sind Investitionen von zunächst 1,5 Milliarden Euro. Bis Ende des Jahrzehnts sollen 50 Prozent der EU-Ausgaben für Waffen und Munition an Hersteller innerhalb Europas gehen, bisher sind es 20 Prozent. Auch mehr staatenübergreifende Anschaffungen sind geplant.

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Válasz Online (HU) /

Großer Schritt Richtung Föderalismus

Brüssel muss dicke Bretter bohren, um so einen Plan durchzusetzen, meint Válasz Online:

„Damit die europäischen Armeen gemeinsam große Waffensysteme von europäischen Herstellern kaufen können, müssten sie ihre Verteidigungspolitik auf einem Niveau koordinieren, das das europäische Bündnissystem erheblich umstrukturieren würde. Denn es gibt keine sensiblere Souveränitätsfrage als die des Militärs. ... Wenn sich die Mitgliedstaaten auf eine koordinierte Planung umstellen würden, oder sogar auf eine Strategie, die von EU-Institutionen kontrolliert wird, wäre dies ein größerer Sprung in Richtung eines föderalen Europas als jede andere Maßnahme seit der Einführung der gemeinsamen Währung.“

Polityka (PL) /

Für mehr Effizienz braucht es europäische Standards

Polityka hält die EU-Kommission für die richtige Adresse bei der Setzung einheitlicher Standards:

„In Brüssel wird seit Jahren von großen Einsparmöglichkeiten gesprochen, wenn EU-Industrien und EU-Armeen auf die Produktion von weniger Waffentypen (wie in den USA) setzen würden. Nun stellt sich heraus, dass das Problem nicht nur die Vielzahl der Typen ist, sondern manchmal auch die Kompatibilität von Geschossen und Artillerie desselben Kalibers. Es geht um gemeinsame Standards, die die EU in manchen Bereichen sehr gut durchsetzt, und darum, die Verteidigungsindustrie stärker an die Regeln des gemeinsamen Marktes zu binden, die unter anderem durch Wettbewerb, gleichen Zugang für Investoren und Skaleneffekte anderen Industrien in der EU zu großem Erfolg verholfen haben.“

Proto Thema (GR) /

Eine Niederlage für humanitäre Ideen

Proto Thema schreibt besorgt:

„Angesichts der existenziellen Gefahr, die von dem durch den Ukraine-Krieg und die Konfrontation der USA mit China verursachten globalen Strudel ausgeht, wird die EU zu einer Kriegswirtschaft. … Politisch gesehen stellen die Entwicklungen eine eklatante Niederlage für humanitäre Ideen zur Förderung von Frieden und nachhaltiger wirtschaftlicher Entwicklung dar, aber auch für sozialistische Ideen zum Abbau von Ungleichheiten und zur Förderung des sozialen und kulturellen Wohlstands. Diese Ideen werden durch den Lärm und die Angst vor dem Krieg erstickt, während die politischen Institutionen der Sozialisten und der linken Mitte, die ihnen eigentlich dienen sollten, in ganz Europa dem Vormarsch der Rechtsextremen sprachlos zusehen. ... Die Analogien zu den Zeiten vor dem Ersten und Zweiten Weltkrieg sind erschreckend.“

LRT (LT) /

Auf die USA ist kein Verlass mehr

Kolumnist Arkadijus Vinokuras kritisiert in LRT das Zögern der europäischen Nato-Staaten:

„Wenn kein Wunder geschieht, werden die USA noch jahrelang von einem unberechenbaren Narzissten regiert, für den allein die Nato-Idee ein Dorn im Auge ist. Ja, ich stimme seiner Forderung zu, dass die europäischen Nato-Mitglieder mindestens 2 Prozent ihres BIP in Verteidigung investieren müssen – 11 von ihnen tun das bereits. ... Aber worauf warten die anderen? ... Wird es ohne die Führungsrolle der USA eine solche in der EU geben, wenn man nicht einmal mit der pro-russischen Politik Orbáns umgehen kann? ... Europa wird sich von der Führung der USA unter einem Trump verabschieden müssen ... Wir haben keine Zeit mehr, mit politischen Spielen um den Frieden zu kämpfen.“

Večernji list (HR) /

Sinnvolle Zukunftsinvestition

Nur vorausschauendes Handeln kann eine künftige Bedrohung der EU abwenden, begrüßt Večernji list Brüssels Ankündigung:

„Russlands Krieg in der Ukraine zeigt, dass Kriege nicht nur durch Ausrüstung, Ausbildung und Motivation der Armee gewonnen werden, nicht nur durch das richtige Ziel, für das gekämpft wird, sondern auch durch gute Logistik, Waffen- und Munitionsvorräte, aber eben auch die Rüstungsindustrie. Denn wenn die Vorräte verbraucht sind, wird es zum Krieg zwischen der Rüstungsindustrie der verfeindeten Seiten. Das ist die Logik dieses Schrittes der EU: die Entwicklung der Kapazitäten der Militärindustrie in Europa zu finanzieren, denn dies ist eine Investition in die Sicherheit, aber auch in Arbeitsplätze in Europa.“

NRC (NL) /

Deutsch-französisches Gerangel als Bremsklotz

Die Uneinigkeit zwischen Deutschland und Frankreich in der Ukraine-Strategie ist ein echtes Hindernis für die Pläne, meint NRC:

„Scholz vertraut innerhalb der Nato weiterhin in erster Linie auf die Amerikaner für Europas Sicherheit. Das ist, auch angesichts der Perspektive einer zweiten Amtszeit für Donald Trump, eine riskante Entscheidung. ... Die Europäische Kommission mag zwar am Dienstag vielversprechende Pläne vorgelegt haben, die europäische Verteidigungs-Industrie kampfbereit zu machen. Das französisch-deutsche Gerangel verschafft aber den Eindruck, dass es alles nicht so schnell gehen wird. Die Zeitenwende, die Scholz einmal versprach, erfordert sowohl von Berlin als auch von Paris Schritte, sich auch strategisch näher zu kommen.“

taz, die tageszeitung (DE) /

Wichtige Fragen werden ausgespart

Der taz ist bei der derzeitigen Konzentration aufs Militärische nicht ganz wohl:

„Das mag in einer bedrohlichen Situation, verursacht durch einen gemeinsamen Gegner – den russischen Präsidenten – und einem Krieg, dessen Ende sich nicht abzeichnet, sinnvoll sein. ... Ausgespart wird bisher und erneut die Frage, welche sozial- oder auch klimapolitischen Vorhaben der Aufrüstung zum Opfer fallen werden. In wirtschaftlich schwierigen Zeiten in nahezu allen EU-Staaten wird es Abstriche geben müssen. Keine Frage. Aber eine ehrliche Debatte über Gewinner und Verlierer der Rüstungsinvestitionen fehlt bisher. Von einer Diskussion über den Charakter der EU als einem friedens­orientierten Projekt ganz zu schweigen.“