Attentat auf Fico: Wie weiter in der Slowakei?

Robert Fico ist außer Lebensgefahr, doch die Stimmung in der Slowakei bleibt aufgeheizt. Nach dem Attentat auf den Premier hatte Innenminister Šutaj an Politiker, Medien und Öffentlichkeit appelliert, mit dem "Hass gegen das andere politische Lager" aufzuhören. Ein von der proeuropäischen Noch-Präsidentin Zuzana Čaputová und ihrem Fico-nahen Nachfolger Peter Pellegrini geplantes Versöhnungstreffen aller Parteispitzen kam jedoch nicht zustande.

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Blick (CH) /

Wendepunkt für politische Kultur

Die Slowakei steht am Scheideweg, meint Blick:

„Die Schüsse auf den Regierungschef könnten dazu führen, dass Ficos Anhänger noch radikaler gegen andere Parteien vorgehen, noch bestechlicher werden, noch näher an Russland rücken – und ihren Krieg gegen die Medien jetzt erst recht intensivieren. ... Zugleich ist die Hoffnung gross, dass die Slowakei das Attentat als symbolischen Auftakt eines neuen politischen Zeitalters begreifen lernt. Die Politik des Landes hat jetzt eine Chance, sich in Richtung Integrität zu bewegen, statt weiter staatliche Korruption und Lügen hinzunehmen wie ein Naturgesetz. Die Bluttat vom Mittwoch könnte sogar manchen Politikern die Augen geöffnet haben. Vielleicht überlegen sie es sich künftig zweimal, ob sie Staatsgelder in die eigenen Taschen stopfen wollen.“

Dserkalo Tyschnja (UA) /

Symptom eines kranken Systems

Das Attentat auf Fico könnte zu einer Neuordnung der politischen Landschaft in der Slowakei führen, meint auch Dserkalo Tyschnja:

„Das Attentat auf ihn sollte nicht als isoliertes Ereignis betrachtet werden. Vielmehr ist es ein weiteres Symptom für das kranke politische Umfeld, in dem sich die erste Frau im Präsidentenamt gegen eine zweite Amtszeit entscheidet, weil sie Morddrohungen erhält, und Journalisten Angst davor haben, ihre Arbeit zu machen, nachdem die Regierung ihren Beruf jahrelang diskreditiert hatte. Das Attentat auf den Premierminister hat sich zu einer nationalen Krise ausgeweitet, die zu einer bedeutenden Umgestaltung der politischen Landschaft in der Slowakei führen könnte. Zu welcher Art von Umgestaltung ist eine offene Frage.“

Pravda (SK) /

Bislang kein Wille zur Versöhnung erkennbar

Dass das für Dienstag geplante Treffen von Čaputová und Pellegrini mit den Spitzen aller Parlamentsparteien doch nicht zustande kam, beklagt Pravda:

„Es schien, als seien nach dem Attentat alle wichtigen Akteure zur Besinnung gekommen. Jetzt aber ist vom Willen zur Selbstreflexion schon keine Rede mehr. ... Beide Lager erklären, dass sich die Atmosphäre in der Gesellschaft ändern muss, dass es so nicht weitergehen kann, weil wir in eine noch größere Katastrophe geraten werden. Aber dann zeigen sie mit dem Finger auf ihre Gegner, die die Schuldigen seien. Die Versöhnungsrufe bleiben so ungehört.“

Tygodnik Powszechny (PL) /

Die Regierung muss jetzt Fragen beantworten

Nur umfassende Aufklärung kann Verschwörungstheorien eindämmen, meint Tygodnik Powszechny:

„In der Slowakei werden Fragen gestellt. Zunächst die nach den Fehlern des Sicherheitsdienstes des Premierministers (hier ist die Liste lang) und nach den Motiven des Angreifers. Der 71-jährige Juraj C., ein Dichter und ehemaliger Mitarbeiter einer Sicherheitsfirma, sagte aus, dass er 'mit der Politik der Regierung nicht einverstanden ist'. Gleichzeitig stellt sich heraus, dass er vor einigen Jahren Verbindungen zu einer pro-russischen paramilitärischen Organisation hatte. Die Klärung der Umstände des Anschlags, einschließlich der Motivation von Juraj C., ist nun die wichtigste Aufgabe für den slowakischen Staat. Unmittelbar nach dem Anschlag begannen nämlich verschiedene Verschwörungstheorien zu kursieren, darunter auch Desinformationen – wie zu vermuten ist, koordiniert durch russische Netzwerke.“

Denník Postoj (SK) /

Sich auf gemeinsame Spielregeln einigen

Zur Initiative von Čaputová und Pellegrini meint Denník Postoj:

„Das heute war schon mal ein sehr wichtiger Schritt: Die scheidende Präsidentin und ihr Nachfolger beriefen im Präsidentenpalast ein Treffen der Führer der parlamentarischen politischen Parteien ein. ... Das darf sich jedoch nicht auf eine symbolische Geste beschränken, von der nur Fotos in der Zeitung bleiben. Niemand ruft hier zu gegenseitigen Umarmungen auf, aber die Polarisierung der Gesellschaft ist in der Slowakei heute so stark, dass es die Pflicht der Politiker ist, eine echte Debatte darüber anzustoßen, wie sie reduziert werden kann. Sie werden keine Wunderlösungen finden, aber sie können zumindest einen gemeinsamen Nenner besprechen, eine Reihe von Zielen und Regeln, auf die sich das gesamte politische Spektrum einigen kann.“

Die Presse (AT) /

Gewaltfreier politischer Wettstreit, bitte

Die Presse ruft die Politiker auf, sich in ihrem Ton zu mäßigen:

„Je unversöhnlicher sich die politischen Lager gegenüberstehen, desto eher überträgt sich diese Haltung auch in gefährlicher Weise auf deren Anhänger. ... Gerade am Beginn des Wahlkampfs zur EU- und [zur österreichischen] Nationalratswahl kann man sich diese etwas pastorale Warnung nicht ersparen: Je sachlicher die Debatte, je moderater der Ton, je gemäßigter die Worte, je größer die Empathie für die Position des Gegenübers, desto größer ist die Chance, dass die politische Auseinandersetzung bleibt, was sie sein soll – ein gewaltfreier Wettstreit der besten Ideen mit der Wählerin und dem Wähler als Schiedsrichter.“

Népszava (HU) /

Keine Spur von Brückenbau

Népszava sieht keine Anzeichen, dass der Vorfall dazu beitragen könnte, dass die politischen Lager wieder stärker aufeinander zugehen:

„Das Fingerzeigen auf die andere Seite hat bereits angefangen. ... Es gibt bisher keine Spur von Selbstreflexion, von einer Suche nach Antworten auf die Frage 'Was haben wir selbst verpatzt?', ein Sündenbock ist aber bereits gefunden. Die liberale Presse sei schuld, die Ficos Politik 'dämonisiert' habe, dazu die progressiven Parteien und Politiker, lassen einige Politiker der Regierungskoalition verlauten. ... Der Slowakei stehen wohl schwierige Zeiten bevor: Die ersten Signale deuten nicht auf die Absicht hin, gesellschaftlichen Frieden zu schaffen.“

Ukrajinska Prawda (UA) /

Opposition als Sündenbock

Ukrajinska Prawda analysiert mögliche Auswirkungen auf die slowakische Innenpolitik und die Europawahl:

„Es ist unwahrscheinlich, dass die derzeitige Regierung ihre Behauptungen zurücknimmt, die Opposition wäre für den Mordanschlag verantwortlich. Das könnte die Position von Ficos Partei Smer-SSD bei den Wahlen zum Europäischen Parlament stärken. ... Eine Diskreditierung der Opposition würde wiederum ihre Fähigkeit schwächen, sich autoritären Veränderungen im Land zu widersetzen. Das Attentat hat Progresivné Slovensko bereits dazu gezwungen, ihren Protest gegen die Zerstörung des öffentlich-rechtlichen Fernsehens durch Ficos Regierung und dessen Umwandlung in ein weiteres Sprachrohr der Staatsführung auszusetzen.“

Tvnet (LV) /

Wohl kaum Auswirkungen auf Machtverhältnisse

Selbst für den Fall, dass Fico seinen Verletzungen erliegen sollte, glaubt Tvnet nicht an schnelle politische Umwälzungen:

„Die Chance, dass das, was jetzt passiert ist, zu größeren Veränderungen in der slowakischen Regierung führen wird, ist derzeit gering, da Smer auch im Falle von Ficos Tod eine beherrschende Stellung in der Regierung behalten würde und es keine rechtliche Grundlage für Neuwahlen gibt. Im April gewann [der von der Smer unterstützte] Peter Pellegrini mit 53 Prozent der Stimmen die Präsidentschaftswahl und wird sein Amt am 15. Juni antreten, sodass die Position der Partei derzeit recht sicher ist. Die liberale Opposition wiederum muss ernsthaft über ihre nächsten Schritte nachdenken, um nicht das Feuer breiterer Gewalt in der aufgeregten Öffentlichkeit zu entfachen.“

Aktuality.sk (SK) /

Abscheulich und unentschuldbar

Aktuality.sk kommt zu folgendem Urteil:

„In einer demokratischen Welt ist so etwas inakzeptabel. Gewalt und Obszönitäten dringen immer tiefer in unser Leben ein. Wir erleben eine Zeit, wie wir sie seit der Gründung der Slowakei nicht mehr erlebt haben. Die Polarisierung der Gesellschaft und die zunehmende Radikalisierung nehmen enorme Ausmaße an. Das Attentat sollte von jedem anständigen Menschen verurteilt werden. Es ist eine schreckliche Tat, die jeden schockiert hat, der menschliches Leben, Menschenrechte, Freiheiten, Recht und Demokratie schätzt. ... Sie sollte jedoch keinesfalls eine weitere Welle des Hasses auslösen. Das würde niemandem helfen.“

Rzeczpospolita (PL) /

Gescheiterte Träume haben Radikalisierung begünstigt

Rzeczpospolita beleuchtet die politischen Gräben in der Slowakei:

„Fico ist das System. Fico ist der König der Slowakei. Und jetzt hat jemand auf den König geschossen. Oder auf das System? Wir wissen es nicht. ... Die slowakische Gesellschaft ist traumatisiert, polarisiert. Ein großer Teil erliegt den Populisten und Radikalen, was sich unter anderem durch das Scheitern des Traums erklären lässt, aus der Slowakei einen wirtschaftlichen Tigerstaat in der Tatra zu machen. Auch Fico spielte gerne die Rolle des Populisten, Radikalen und Nationalisten. Und früher, in den Tagen des Traums vom Tiger, gefiel er sich in der Rolle des progressiven Europäers und Sozialdemokraten.“

The Moscow Times (RU) /

Die Demokratie kommt ans Limit

The Moscow Times sieht die Slowakei vor schweren Zeiten:

„Nichts dergleichen hat es bisher in der slowakischen Geschichte gegeben. Die Verfassung des Landes enthält nicht einmal Mechanismen für die vorübergehende Übertragung der Macht im Falle der Amtsunfähigkeit des Premierministers, und faktisch müsste die Regierung bei einem Tod von Robert Fico neu gebildet werden. ... Es ist klar, dass sich unabhängig vom Gesundheitszustand des Premiers die Konfrontation zwischen der populistischen, prorussischen slowakischen Führung und der prowestlichen, proukrainischen Opposition drastisch verschärft. Und nicht ausgeschlossen, dass das Attentat auf den Premier von dessen Verbündeten und Parteifreunden genutzt wird, um einen entschlossenen Angriff auf die demokratischen Freiheiten zu starten.“

Dnevnik (BG) /

Anschlag kam wohl von rechts

Das politische Profil des Attentäters ist nicht unbedingt das eines typischen Fico-Gegners, schreibt Dnevnik:

„Ficos Parteifreunde und seine rechtsradikalen Koalitionspartner haben gegen Medien und politische Gegner aus pro-europäischen Kreisen gehetzt und ihnen gedroht. Wie es scheint kam der Anschlag gegen den Premierminister jedoch aus der entgegengesetzten Richtung. ... Am Mittwoch wurde Fico aus nächster Nähe von einem 71-jährigen pensionierten Sicherheitsbeamten angeschossen, der, wie erste Versuche, ein Profil von ihm zu erstellen, zeigen, rechtsradikale und nationalistische Ansichten hatte.“

Új Szó (SK) /

Gewalt begünstigende Faktoren endlich ausbremsen

Für eine friedlichere Gesellschaft muss man auch etwas tun, schreibt Új Szó:

„Man muss die Spannungen wegen politischer Ansichten in den Familien besprechen, sich in den Schulen mit den Kindern hinsetzen und darüber reden, wie sie Emotionen bewältigen können. ... Dem überschäumenden Hass-Tsunami in Kommentaren in den sozialen Medien muss eine Grenze gesetzt werden. ... Wir müssen die Blasen zerplatzen lassen, in die sich viele Menschen freiwillig zurückziehen, um Diskussionen aus ihrem Leben zu verdrängen. ... Und wir müssen die verleumderischen, unverantwortlichen, hasserfüllten negativen politischen Kampagnen und Rufmordkampagnen eindämmen. Denn all dies zusammen hat zu einem echten Mordversuch geführt.“