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  Nordirland: Streit nach dem Brexit

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Fast zwei Jahre lang weigerte sich die London-treue DUP, mit der irisch-republikanischen Regionalwahl-Siegerin Sinn Féin eine nordirische Einheitsregierung zu bilden, wie es das Karfreitagsabkommen von 1998 vorschreibt. In der Nacht zum Dienstag erklärte Parteichef Jeffrey Donaldson, dazu nun doch bereit zu sein. Hintergrund sollen bisher nicht bekannte Anpassungen des Nordirland-Protokolls mit der EU sein. Der ersehnte Durchbruch?

Am 10. April 1998 beendete das Karfreitagsabkommen den jahrzehntelangen gewalttätigen Nordirland-Konflikt. Aus diesem Anlass werden am heutigen Dienstag US-Präsident Joe Biden und der britische Premier Rishi Sunak in Belfast sprechen. Kommentatoren beschäftigt der Jahrestag vor allem im Hinblick auf den aktuellen Streit zum neuen Windsor-Abkommen und dem Nordirland-Protokoll, der im Zuge des Brexits entstanden war.

Das britische Unterhaus hat mit großer Mehrheit das sogenannte Windsor-Abkommen angenommen, mit dem London und Brüssel die Probleme mit den Brexit-bedingten Nordirland-Regelungen ausgeräumt hatten. Die früheren Tory-Regierungschefs Boris Johnson und Liz Truss stimmten gegen die von ihrem Nachfolger Rishi Sunak mit der EU ausgehandelte Reform - ebenso die nordirische Democratic Unionist Party (DUP). Ist der Streit damit beigelegt?

Nach dreijährigem Hin und Her haben Großbritannien und die EU beim Nordirland-Protokoll eine Einigung erzielt. Die bisherigen Regeln erschweren den Handel zwischen Großbritannien und Nordirland, das de facto weiter Teil des EU-Markts ist. Künftig sollen Zollauflagen nur noch für Waren gelten, die für die Republik Irland bestimmt sind. Europas Presse bewertet den Kompromiss mehrheitlich positiv.

Rund drei Jahre nach dem Brexit zeichnet sich eine Lösung für die Nordirland-Frage ab. Der britische Premier Rishi Sunak stellte den Vorsitzenden sämtlicher wichtiger Parteien Nordirlands am Freitag die Grundzüge einer neuen Vereinbarung mit der EU über den Status des britischen Teils der Insel vor. Für Kommentatoren ist eine Einigung überfällig.

Bei einem Treffen am Montag haben sich EU-Chefverhandler Šefčovič sowie Außenminister Cleverly und Nordirland-Minister Heaton-Harris auf britischer Seite offenbar über den Datenaustausch im Warenverkehr zwischen Nordirland und Irland einigen können. In einem gemeinsamen Statement nach dem Treffen hieß es, die Einigung bilde eine "neue Grundlage" für Gespräche über das Nordirland-Protokoll. Kommentatoren wittern Morgenluft.

Brüssel will gegen das Gesetzesvorhaben vorgehen, mit dem die britische Regierung das Nordirland-Protokoll umgehen will. EU-Kommissionsvize Maroš Šefčovič nannte die Pläne illegal und kündigte zwei neue Vertragsverletzungsverfahren an. Außerdem soll ein altes wiederaufgenommen werden. Für London könnte das vor dem Europäischen Gerichtshof und mit einer Geldstrafe enden.

Nach mehreren erfolglosen Telefonaten zwischen London und Brüssel hat die britische Regierung wie angedroht ein Gesetz auf den Weg gebracht, das die Regelungen des Nordirland-Protokolls teilweise aussetzt. Bei Zollkontrollen zwischen den Inseln soll für Waren nach Nordirland ein Schnellverfahren gelten. Auch sollen nordirische Firmen wählen können, ob sie britische oder EU-Standards anwenden.

Am Donnerstag finden in den Ländern des Vereinigten Königreichs die Kommunalwahlen statt. Nordirland wählt außerdem ein neues Regionalparlament. Dort hat laut aktuellen Umfragen die nationalistische Sinn Féin-Partei, die 2020 bereits in der Republik Irland Wahlsieger war, Aussichten, stärkste Kraft zu werden. Rückt eine Wiedervereinigung Irlands und Nordirlands also näher?

Die britische Regierung hat eine Regelung verabschiedet, wonach nicht in Irland lebende EU-Bürger eine Online-Genehmigung (eTA) beantragen müssen, bevor sie zwischen Irland und Nordirland reisen können. Die Regierung in Dublin verurteilte den Beschluss, weil er in der Praxis zu stärkeren Kontrollen auch für Iren und Nordiren führen würde - entgegen dem seit langem bestehenden Common Travel Area-Abkommen.

Die Konflikte zwischen dem Vereinigten Königreich und der EU infolge des Brexits verschärfen sich. Am Freitag sollen Unterhändler erneut Lösungen für das von London kritisierte Nordirland-Protokoll, aber auch für den Fischereistreit zwischen London und Paris suchen. Kommentatoren finden sowohl Gründe, stur zu bleiben, als auch dafür, die starre Haltung zu überwinden.

Brüssel hat London angeboten, die seit dem Brexit bestehenden Zollkontrollen an der Grenze in der Irischen See zu erleichtern: Unter anderem soll bei ausdrücklich für Nordirland bestimmten Waren auf Kontrollen verzichtet werden. Zuvor hatte Großbritanniens Brexit-Minister David Frost eine Neuverhandlung des Nordirland-Protokolls gefordert und mit dessen Aussetzung gedroht. Kommentatoren raten Brüssel zu klarer Kante.

Am Dienstag beginnt eine neue Phase der Verhandlungen zum Umgang mit der inneririschen Grenze nach dem Brexit. Londons Brexit-Minister David Frost wird einen neuen Vorschlag vorlegen. Gegenvorschläge aus Brüssel werden für Mittwoch erwartet. Großbritannien droht mit der Auslösung des Artikels 16, was zum Aussetzen von Teilen der Vereinbarung führen würde.

In Nordirland gibt es seit rund einer Woche nächtliche Ausschreitungen. Am Donnerstagabend bewarfen über hundert Jugendliche im Westen von Belfast sich gegenseitig sowie die Polizei mit Molotowcocktails und Steinen, woraufhin diese Wasserwerfer einsetzte. Kommentatoren sehen die seit dem Brexit verschärften Spannungen zwischen pro-britischen und pro-irischen Kräften nicht als einzigen Grund.

Großbritannien und die EU sind derzeit nicht gut aufeinander zu sprechen, denn die nach wie vor ungeklärten Aspekte des Post-Brexit-Abkommens machen sich schmerzhaft im Streit um die knappen Impfstoffe gegen Covid-19 bemerkbar. Impfstoffexporte aus der EU werden streng überwacht und können gestoppt werden; Kontrollen an der Grenze zu Nordirland sind politisch aber äußerst heikel. Kommentatoren fordern Deeskalation.

Nur einen Monat nach dem Brexit wird Nordirland erneut zum Streitpunkt. Zum einen hatte die EU zwischenzeitlich Kontrollen an der inneririschen Grenze erwogen, um die Ausfuhr von Astrazeneca-Impfstoff zu verhindern. Zum anderen zog Brüssel seine Kontrolleure an den nordirischen Häfen vorübergehend ab. Auslöser waren Drohungen von pro-britischen Unionisten, die gegen die Kontrolle von Waren aus Großbritannien opponieren.

Die umstrittenen Strategien der britischen Regierung in den Brexit-Verhandlungen und im Kampf gegen die Corona-Pandemie haben die Unabhängigkeitsbestrebungen in Schottland und Nordirland neu befeuert. Im August befürwortete erstmals eine Mehrheit der schottischen Bevölkerung eine Abspaltung. Kommentatoren wägen ab, ob Boris Johnson tatsächlich zum Totengräber des Königreichs werden könnte.

Seit dem Antritt Boris Johnsons als britischer Premier wächst der Widerstand gegen seinen harten Brexit-Kurs in Schottland und Nordirland. Die nordirische katholische Nationalisten-Partei Sinn Féin brachte gar die Wiedervereinigung mit Irland ins Spiel, damit Nordirland in der EU bleiben könne. Irische Kommentatoren sehen bereits einen neuen Staat entstehen.

Mit einem Kompromissvorschlag ist Premierministerin May am Montag zu den Brexit-Verhandlungen nach Brüssel gereist: Nordirland sollte einen Sonderstatus bekommen, um eine harte innerirische Grenze zu vermeiden. Doch offenbar auf Druck der nordirischen Unionisten-Partei DUP zog sie diesen wieder zurück. Kommentatoren sehen die Premierministerin in der Klemme.