EU schlägt weitere Sanktionen gegen Russland vor
Die EU-Kommission will die Sanktionsmaßnahmen gegen Russland wegen seines Angriffs auf die Ukraine weiter verschärfen: Kommissionspräsidentin von der Leyen stellte am Mittwoch ein sechstes Paket vor, das auch ein Öl-Embargo enthält. Übergangsfristen sollen skeptischen Mitgliedsstaaten eine Zustimmung erleichtern. Europäische Kommentatoren werfen grundsätzliche Fragen zu den möglichen Folgen auf.
Embargo mit Ausnahmeregeln
Die Interessen einzelner EU Staaten werden das Vorhaben zerstreuen, erklärt La Stampa:
„Allen voran Ungarn, das mit dem ihm gewährten Übergangsjahr nicht zufrieden ist. … Gefolgt von der Slowakei, die die einjährige Übergangsfrist für unzureichend hält: Sie will mindestens drei Jahre. Bulgarien und die Tschechische Republik haben sich über eine Ungleichbehandlung beschwert und wollen ebenfalls eine Ausnahmeregelung erwirken. Griechenland hingegen beanstandet die Maßnahme, die in einem Monat europäische Schiffe daran hindern wird, Rohöl zu transportieren, das Russland außerhalb des EU-Gebietes verkaufen will. Die gleiche Einwände wurden von Zypern und Malta vorgebracht, zwei Ländern, die in diesem Bereich sehr aktiv sind. Von daher sind Korrekturmaßnahmen zu erwarten, vermutlich mit weiteren Ausnahmeregelungen.“
Einstweilen zeigt sich kein Ausweg
Ein Embargo könnte sich Ungarn jetzt kaum leisten, meint Népszava:
„Orbán und seine Regierung möchten das Embargo verhindern mit der Begründung, dass Ungarn sich nicht von einem Tag auf den anderen [von russischen Energieträgern] lösen kann. ... Das ist - vielleicht - wahr. Doch wer trägt die Verantwortung dafür? Wer hat in den vergangenen Jahrzehnten die Investitionen, die die Umstellung möglich gemacht hätten, vernachlässigt? ... Dennoch sind auch Brüssel und Washington schuldig. Abgesehen von der Forderung, dass Ungarn seine russischen Gas- und Ölbestellungen stornieren soll, zeigen sie keinen klaren und nennenswerten Ausweg, zum Beispiel im Form von Bereitstellung oder Organisierung billigerer Bezugsquellen.“
Ohne Leiden geht es nicht
Die Sanktionen bringen auch die EU-Mitglieder unter Druck, diesem gilt es standzuhalten, fordert die Kleine Zeitung:
„Die Pandemiefolgen sind noch längst nicht überwunden, jetzt spüren die Europäer die wirtschaftlichen Folgen des Krieges und müssen sich auch noch mit Dingen wie Waffenlieferungen oder Neutralität beschäftigen. ... Ein Kardinalfehler wäre es, abdriftende Länder wie Ungarn 'kaufen' zu wollen, indem man ihnen in Bereichen entgegenkommt, die jenseits des Verhandlungsspielraums sind - bei den Rechtsstaatsverfahren etwa. Wenn dieser Damm einmal bricht, ist Feuer am Dach.“
Jetzt kommt es auf uns an
Volkskrant-Kolumnistin Sheila Sitalsing erinnert an den Beginn des Zweiten Weltkrieges 1939 und sieht nun die Westeuropäer in der Pflicht:
„Es ist unser verzweifelter Versuch, unsere Pflicht zu erfüllen, Grausamkeiten zu verhindern. Mit noch schwereren Maßnahmen, einem Ölboykott, der auch uns treffen wird. … Jetzt kommt es darauf an. Jetzt werden wir sehen, wie viel wir einzubüßen bereit sind. Jetzt werden wir sehen, auf wie viel Bequemlichkeit westeuropäische Wähler verzichten wollen und wie lange es dauern wird, bis ein einflussreicher Politiker auf der guten Seite des Eisernen Vorhangs ruft, dass er keine Lust mehr hat, unter dem Krieg der anderen zu leiden. “
Fossile Konzerne reiben sich die Hände
Das EU-Embargo bedeutet auch für den Klimaschutz eine Herausforderung, hebt die Süddeutsche Zeitung hervor:
„Ein Verzicht auf russisches Öl könnte hier die Preise weiter steigen lassen, allen voran für Sprit. ... Teure Rohstoffe machen die Suche selbst nach den verborgensten Quellen lohnend. Fossile Konzerne in aller Welt, bis vor Kurzem noch am Klimapranger, reiben sich die Hände: Plötzlich sind ihre Bohrungen wieder begehrt. Den globalen Klimaschutz wird das um Jahre, wenn nicht Jahrzehnte zurückwerfen. Denn diese Quellen werden noch sprudeln, wenn Krieg und Embargo lange Geschichte sind.“
Ein Segen für China
Von dem Embargo wird vor allem China profitieren, das bereits das EU-Kohleembargo für sich nutzt, warnt Le Temps:
„Es dauerte nur wenige Tage, bis Peking die Abschaffung von Importzöllen auf Kohle ausposaunte, einfach nur, um die Europäer vom Feld zu schlagen. Die Achillesfersen des Westens sind umso sichtbarer, da Peking sich jeden Fauxpas zunutze macht. China verfolgt das allseits verkündete Ziel, bis 2049 Weltmacht Nummer eins zu werden. Innerhalb von 15 Jahren ist Peking Weltmarktführer in Sachen erneuerbare Energien, seltene Erden, E-Autos und Stromspeicherung geworden. Dank Rabattkäufen sichert sich Xi Jinping derzeit einen exklusiven Zugang zu den großen Energiereserven und verschafft sich Rahmenbedingungen, um einen Ausweg aus der beginnenden Stagflation zu finden.“
Falscher Weg
Die EU schlägt mit dem angestrebten Importstopp für russisches Öl den falschen Weg ein, konstatiert Corriere della Sera:
„Es ist Europa und den USA nicht gelungen, auf Saudi-Arabien, den Iran und Venezuela Druck auszuüben, die Produktion zu erhöhen. Wenn Europa nun Putins schwarzem Gold Einhalt gebietet, wird das die Kosten für alle in die Höhe treiben. ... Was Putin betrifft, so würde er einen Teil des Rohöls, das Europa nicht mehr kauft, zu höheren Preisen an andere verkaufen; er würde wahrscheinlich keinen finanziellen Schaden erleiden. ... In diesem schmutzigen Wirtschaftskrieg gibt es keine perfekte Lösung, das ist wahr. Das heißt nicht, dass wir uns für die falsche entscheiden sollten.“
Sanktionen global wasserdicht machen
Im Ringen um die richtigen Reaktionen auf den Ukrainekrieg neigen die EU, die USA und Deutschland zur Selbstüberschätzung, schreibt Der Tagesspiegel:
„Hängt es allein vom westlichen Boykott russischer Energie ab, wann Moskau das Geld ausgeht? Hat Olaf Scholz es durch Lieferung von mehr oder weniger Waffen in der Hand, ob Putin den Krieg eskaliert? Gibt es überhaupt Mittel gegen das Morden, die rasch und effektiv wirken? ... Europa und Amerika [müssen] genau abwägen, ihre Sanktionen global wasserdicht machen und auf Indien und China diplomatisch einwirken, damit sie einen Boykott nicht unterlaufen. Sonst schadet ein Ölembargo dem Westen mehr als Putin.“
Wirtschaftlicher Druck soll helfen
Die NZZ kalkuliert:
„Seit Kriegsbeginn am 24. Februar sind nach Angaben des Forschungsinstituts Crea aus EU-Staaten 27 Milliarden Euro für Erdgaslieferungen und 20 Milliarden für Erdöllieferungen nach Moskau geflossen. Die EU setzt deshalb am richtigen Hebel an. Sie kann mit einem Erdölembargo die Kriegsfinanzierung erschweren und die wirtschaftlichen Kosten des Krieges für Russland hochschrauben; das könnte den Druck hinsichtlich eines Waffenstillstands erhöhen.“
Öl geht Hand in Hand mit Gas
Lidové noviny ist besorgt, inwieweit das Ende der EU-Ölimporte auch das kompliziertere Gasgeschäft mit Russland beeinträchtigen würde:
„Der Ausstieg beträfe erstmals [während des Ukraine-Krieges] ein Importgut, um einem anderen Staat zu schaden: Russland und der Finanzquelle für die Invasion der Ukraine. Es ist schwer zu sagen, wie das ausgehen wird. Spekuliert wird reichlich. ... Angenommen, die EU verhängt tatsächlich ein Embargo für Ölimporte aus Russland - vom russischen Gas wird sie sich noch lange nicht abkoppeln können. Glaubt aber irgendjemand ernsthaft, dass ein Embargo für russisches Öl keine Auswirkungen auf den Fluss von russischem Gas in der Pipeline haben würde?“
Eine logistische Herausforderung
Eine Umorientierung bei den Gas- und Ölexporten ist keine leichte Aufgabe für Russland, so Polityka:
„Europa ist sich bewusst, dass [Russland] nicht allen den Hahn zudrehen kann, denn was soll es mit dem Gas machen? Die Förderung kann nicht so einfach gestoppt werden, und das gesamte Gaspipelinenetz führt in die EU. Mit dem Erdöl verhält es sich genauso. Obwohl die Russen es, anders als Gas, auf Schiffe verladen und an jeden beliebigen Ort schicken können, haben sie Probleme, Käufer zu finden. Das zeigt sich an den Rabatten, die sie anbieten. ... Alles wird zu einem Problem, sogar die Suche nach einem Öltanker. Die Reeder verlangen teure Frachtkosten, weil sie befürchten, dass die Sanktionen während der Reise verschärft werden und der Empfänger der Ladung diese nicht annimmt oder die Hafenarbeiter sie nicht entladen.“
Experiment mit ungewissem Ausgang
Von einem Ölembargo könnte Putin am Ende sogar profitieren, befürchtet das Handelsblatt:
„Steigende Preise auf den Weltmärkten wären die Folge. Wenn es schlecht läuft, könnte Putin seine Einnahmen sogar erhöhen, falls er schnell andere Abnehmer findet. Die Hoffnung der Europäer, andere Staaten würden aus Solidarität darauf verzichten, billiges russisches Öl zu kaufen, ist naiv. So wäre das Ölembargo ein Experiment mit ungewissem Ausgang. Die Europäer suggerieren, das Heft des Handelns in der Hand zu halten. Doch der Schein trügt.“
Gegen Putins Erpressung hilft nur harte Kante
Der Banker Serhij Fursa sieht in NV das Ölembargo als Antwort auf Putins Forderung nach Rubel-Zahlungen für Gas:
„Sein Ziel ist es, Europa zu Maßnahmen zu zwingen, die die Sanktionen gegen die russische Zentralbank unterlaufen und damit die europäische Einheit angreifen. ... Putin setzt die Gaseinnahmen für die nächsten zwei Jahre aufs Spiel. Und die Vermögenswerte von Gazprom in der Welt, die dem Konzern verblieben sind. Denn wenn Putin die Gaslieferungen stoppt, wird er vertragsbrüchig, werden entsprechende Gerichtsurteile unausweichlich sein. Das ist ein sehr hoher Einsatz. Mit diesem rückt auch ein Ölembargo näher. Ein Verzicht auf russische Energie wird immer mehr zu einer dringenden Notwendigkeit. Er geht ein Risiko ein. Er riskiert alles für die Aufhebung der Sanktionen.“