Mit Stromunterbrechungen gegen Engpässe im Winter?
In Frankreich soll der Strom im Januar und Februar lokal vorübergehend abgeschaltet werden, falls ansonsten unkontrollierte Blackouts eintreten könnten. Grund für mögliche Engpässe ist, dass derzeit 18 der 56 französischen Atommeiler wegen verzögerten Wartungsarbeiten nicht am Netz sind. Auch Schweden befürchtet Engpässe und hat ein ölbetriebenes Reservekraftwerk in Betrieb genommen. Die Analysen der europäischen Presse gehen auseinander.
Die Nerven liegen blank
Allein der Gedanke möglicher Stromausfälle löst in Frankreich Hysterie aus, beobachtet Le Quotidien:
„Ein Ansturm auf Campingkocher, die verzweifelte Suche nach Stromgeneratoren, der Kauf von kiloweise Kerzen. ... Herrscht in Frankreich Krieg? Nein, noch nicht. Bei unseren Nachbarn hat die Ankündigung, dass es in diesem Winter zu Stromausfällen kommen könnte, die Nerven einiger Menschen auf die Probe gestellt. Die ständigen Meldungen der Nachrichtenkanäle und die Reden der Opposition haben die Verzweiflung vieler Einwohner noch verstärkt, die nun von Geschäft zu Geschäft rennen, als würden sie sich auf das baldige Ende des elektrischen Zeitalters vorbereiten. Der französische Staat scheint nicht in der Lage zu sein, diese Hysterie zu beruhigen.“
Panik ist unangebracht
Die Diskussion ist fehlgeleitet, kritisiert Le Monde:
„[Sie ist] gefährlich, weil sie die Putin-Propaganda anheizt, die alle Dimensionen der Energiekrise ausnutzt, selbst wenn diese nichts mit den Sanktionen gegen Russland zu tun hat. Und kontraproduktiv, weil Panik nicht dabei helfen wird, den Winter zu überstehen. Die Franzosen fürchten, ohne Strom dazustehen? Wie kann es da sein, dass weniger als zwei Millionen die App écoWatt heruntergeladen haben, dank der man Verbrauchsspitzen drei Tage im Voraus erfahren und sich auf allfällige, zudem höchstens zweistündige Unterbrechungen vorbereiten kann? ... Einige Ukrainer haben nicht einmal zwei Stunden Strom pro Tag. Der Blackout, wenn er denn eintritt, wird vor allem moralischer Natur sein.“
Frankreichs Atomkraft ist zum Problemfall geworden
Jetzt richten sich in der Energiepolitik alle Augen auf die Grande Nation, glaubt The Economist:
„Frankreich sollte sich eigentlich im kuschelig–warmen Licht kontrollierter Kernspaltung aalen können. Stattdessen kämpft seine Atomindustrie nach einem Jahrzehnt des Missmanagements und widersprüchlicher politischer Signale verzweifelt gegen den Zusammenbruch. ... Europa zählt darauf, dass die französische Nuklearindustrie im Winter für Europas angeschlagenes Energienetz keine Belastung mehr darstellt, und Frankreichs Präsident Macron setzt darauf, um eine nationale nukleare Wiedergeburt zu ermöglichen. Was passiert, könnte darüber entscheiden, ob Atom-Gläubige auf der ganzen Welt Frankreich als Vorbild oder als warnendes Beispiel betrachten werden.“
Auch Schweden muss sich auf Ausfälle vorbereiten
Göteborgs-Posten fordert von der Politik kurz- wie langfristige Vorkehrungen:
„Es braucht exakte Pläne für eine Situation, in der man das Essen im Seniorenheim nicht aufwärmen kann, in der sämtliche Bahnen still stehen. ... Privatpersonen müssen darauf vorbereitet sein, dass Aufzüge außer Betrieb sind, dass das Handy nicht funktioniert. Dass es so weit gekommen ist, beruht größtenteils auf weltfremden energiepolitischen Beschlüssen [der früheren rot-grünen Regierung zur Benachteiligung der Kernkraft]. Hoffentlich lernen wir und die Politiker daraus.“
Schluss mit energiepolitischem Grabenkrieg!
Jetzt ist Klarsicht auf allen Ebenen angesagt, betont Aftonbladet:
„Hier und jetzt ist nur eines zu tun: so viel Strom wie möglich sparen. Aber Privathaushalte und Unternehmen brauchen auch klare Ansagen - für diesen Winter und die Zukunft. Und der Staat kann nicht einfach nur zusehen, wie die Energieunternehmen mit Putins Krieg Rekordgewinne machen. Gleichzeitig gilt es, die Stromproduktion auszubauen. ... Der Grabenkrieg zwischen den verschiedenen fossilfreien Energien muss aufhören. Mit Windkraft kann die Stromproduktion am schnellsten erhöht werden. Aber dass Atomkraft nicht weiterhin eine wichtige Rolle spielen sollte, ist schwer vorstellbar.“