Steht Polen vor einem Regierungswechsel?

Am Sonntag wählen die Polen ein neues Parlament und können sich insbesondere zwischen einem breiten Oppositionsbündnis und der seit Langem regierenden PiS entscheiden. Dem Bündnis um Ex-EU-Ratspräsident Donald Tusk werden gute Chancen eingeräumt, das derzeitige Kabinett ablösen zu können. Die Presse beleuchtet, was mit der Wahl auf dem Spiel steht.

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Hospodářské noviny (CZ) /

Jede einzelne Stimme zählt

Von einer hochspannenden Richtungswahl spricht Hospodářské noviny:

„Den Umfragen zufolge scheinen die Chancen des heutigen Regierungslagers und der Opposition gleich groß zu sein, es wird also um jede Stimme und jedes gewonnene Parlamentsmandat gehen. Gleichzeitig wird das Ergebnis darüber entscheiden, welchen Weg Polen künftig politisch einschlagen wird. Das heißt, ob die Konservativen der jetzt regierenden PiS mit der Unterstützung kleinerer nationalistischer Parteien Polen wirklich in ein zweites euroskeptisches und autoritäres Ungarn verwandeln werden. Oder ob die derzeitige Opposition eine proeuropäische Koalition bilden wird, die Polen zu einem starken Akteur innerhalb der EU und der Nato machen will.“

Tygodnik Powszechny (PL) /

Wie Feuer und Wasser

Die Polen leben in entgegengesetzten Parallelwelten, so Tygodnik Powszechny:

„Wir haben die Grenzen der Kuriosität schon längst überschritten. Die Polarisierung, die wir in Polen erleben, hat ein Ausmaß erreicht, das in keinem anderen Land mehr zu finden ist. Wir haben uns daran gewöhnt, in mindestens zwei Realitäten zu leben, die sich zueinander wie Feuer und Wasser verhalten. Was in der einen eine Tugend ist, ist in der anderen eine Schande, was in der einen Heldentum ist, ist in der anderen Verrat, was in der einen als Fauxpas gilt, ist in der anderen ein Beispiel bester Manieren, was in der einen ein Misserfolg ist, ist in der anderen ein Erfolg, was in der einen als schön gilt, ist in der anderen hässlich und abstoßend. Und vice versa.“

Observator Cultural (RO) /

Weiterer Rechtsruck möglich

Observator Cultural ist beunruhigt darüber, was die Wahl ergeben könnte:

„Besorgniserregend ist, dass die PiS im Falle eines Wahlsieges nur mit der Konfederacja (KON) eine Regierungskoalition eingehen könnte – eine rechtsgerichtete Partei, die eine noch härtere Haltung gegen die EU vertritt als die PiS. Eine Partei neonazistischer Herkunft, die antisemitisch, Anti-LGTBQ+ und gegen Einwanderung ist. … Und das vor dem Hintergrund, dass Brüssel die Situation von Tausenden Einwanderern lösen will, die nach Ansicht der EU in gleicher Weise unter den EU-Staaten verteilt werden sollen. ... Das lehnen vor allem Ungarn und Polen ab und eine mögliche Regierungskoalition aus PiS und KON würde hier eine unversöhnliche Position einnehmen.“

Rzeczpospolita (PL) /

Ein bitterer Feiertag der Demokratie

Die bisher noch unentschlossenen Wähler werden den Ausschlag geben, kommentiert Rzeczpospolita:

„Die letzte Umfrage in diesem Wahlkampf sieht die Opposition als Sieger. Ein Sieg, der ungewiss, aber möglich ist. Er hängt von denen ab, die bis zur letzten Minute zögern, um an diesem bitteren Feiertag der Demokratie teilzunehmen. Bitter, weil dieser Wahlkampf einzigartig ist. Noch nie wurden so viele negative Gefühle geschürt und noch nie waren so viele Menschen davon überzeugt, dass Polen dramatisch gespalten ist.“

hvg (HU) /

Für Frauen gibt es nur eine gute Wahl

Dominika Wantuch, Journalistin bei Gazeta Wyborcza, erklärt in hvg, warum Polens Frauen ihre Stimmen den Oppositionsparteien geben sollten:

„Wir müssen wählen: Entweder wir kämpfen weiter für die Rechte der Frauen und die Chancengleichheit oder wir nehmen nicht an den Wahlen teil, während uns bewusst ist, dass alles noch schlimmer werden könnte. Die Einschränkungen der Rechte könnten zunehmen. Wir können nicht nur unsere reproduktiven Rechte verlieren, auch die Chancengleichheit im Bildungssystem könnte abgeschafft werden. Diese Lage kann sogar Frauenrechtsorganisationen zerstören. Und wenn die Unabhängigkeit der polnischen Gerichte abgeschafft wird, wird es kein Forum mehr geben, wo wir uns verteidigen können.“

The Irish Times (IE) /

Schlüsselmoment für die EU

Europa wird nervös nach Polen blicken, meint The Irish Times:

„Die Wahl wird Auswirkungen auf ganz Europa haben. Ein Sieg der PiS wäre ein enormer Booster für Populismus und Euroskepsis im Vorfeld der Wahlen zum Europäischen Parlament, die im nächsten Jahr anstehen. Eine Niederlage der PiS hingegen könnte sich positiv auf ein Ausbalancieren der Kräfte innerhalb der EU auswirken. Eine Niederlage würde dazu beitragen, die stark destabilisierende Rolle des ungarischen Premiers Viktor Orbán zu schwächen, die kürzlich durch den Sieg von Robert Fico in der Slowakei und zuvor von Giorgia Meloni in Italien eine Stärkung erfahren hatte.“

Aftonbladet (SE) /

Weder frei noch fair

Aftonbladet macht sich Sorgen, was auf eine Niederlage der PiS folgen könnte:

„Wenn 'Recht und Gerechtigkeit' [PiS] gewinnen, werden sie die Demokratie weiter abbauen und gegen die EU kämpfen. Aber wenn sie verlieren? Der Oberste Gerichtshof muss das Wahlergebnis bestätigen und der Präsident ist derjenige, der den Auftrag der Regierungsbildung erteilt. Die PiS kontrolliert heute beide, daher wissen wir nicht, was passiert, wenn sie die Wahl verlieren sollte. ... Die Wahl ist weder frei noch fair. In der Praxis führen die Staatsmedien einen Wahlkampf für 'Recht und Gerechtigkeit' und gegen die Opposition. Der Rest der staatlichen Institutionen ebenso. Aber wie weit sind sie bereit zu gehen, um zu bleiben?“

Pravda (SK) /

Opposition hätte es nach einem Sieg schwer

Ein demokratischer Neuanfang wäre auch mit neuer Regierung keine einfache Aufgabe, ahnt Pravda:

„Denn da wird unter anderem der PiS-Mann Andrzej Duda weiterhin im Präsidentenamt sitzen. Er kann Gesetze blockieren und die Regierung wird es schwer haben, eine Dreifünftelmehrheit zu finden, um sein Veto aufzuheben. Der Präsident muss nicht versuchen, Kompromisse mit der neuen Regierung einzugehen. Seine zweite Amtszeit endet erst 2025 und selbst wenn er sich auf die Suche nach einer neuen Karriere machen würde: Solange die PiS eine starke Partei ist, die in der Lage ist, die Parlamentswahlen zu gewinnen, muss er sich nicht nach neuen Verbündeten umsehen.“