Italien: Konzentration und Einschüchterung

Die italienische Medienlandschaft steht immer mehr unter dem Einfluss und der Kontrolle politischer und wirtschaftlicher Interessengruppen. Die Medienkonzentration nimmt zu, während die Auflagen der Printmedien in den letzten zehn Jahren einen Rückgang von über 50 Prozent verzeichnet haben. Die Übernahme und Fusion von Medienunternehmen ist angesichts dieser Rahmenbedingungen in Italien ein Dauerthema. Das erklärt sich aber nicht nur mit der Auflagenkrise, sondern mindestens ebenso mit einem unerbittlichen Machtkampf um die Poleposition in der Meinungsbildung.

Zeitungsauslage am 26. September 2022, nach dem Wahlsieg der Fratelli d’Italia von Giorgia Meloni. (© picture alliance / ROPI/Maule/Fotogramma)
Zeitungsauslage am 26. September 2022, nach dem Wahlsieg der Fratelli d’Italia von Giorgia Meloni. (© picture alliance / ROPI/Maule/Fotogramma)
Berlusconi und seine Nachahmer

Dieser Machtkampf hat seine Ursprünge im Berlusconismus. Seit den frühen 1980er Jahren hatte der 2023 verstorbene Ex-Premier ein weit verzweigtes Geflecht von Medienunternehmen aufgebaut. Zum Imperium der Familie Berlusconi zählen unter anderem das größte Verlagshaus des Landes, Mondadori, sowie die drei größten privaten Fernsehsender, die rund 60 Prozent aller Werbeinvestitionen auf dem italienischen Markt auf sich vereinen.

Auch um das größte Blatt des Landes, die liberal-konservative Tageszeitung Corriere della Sera, tobt seit Jahren ein Machtkampf. Im Juli 2016 übernahm der Medienunternehmer und Berlusconi-Schützling Urbano Cairo über die Hälfte der Aktien der bis dahin eigenständigen Verlagsgruppe RCS, zu der neben Corriere della Sera auch die größte Sportzeitung Corriere dello Sport, Boulevardblätter sowie Männermagazine, Koch-, Garten- und Reisehefte gehören.

Zwei weitere große italienische Verlagshäuser, Gruppo editoriale L’Espresso und Editrice Italiana (Itedi), haben im April 2017 fusioniert. So entstand mit Gedi eine der größten italienischen Verlagsgruppen, die unter anderem die wichtigen Tageszeitungen La Repubblica und La Stampa herausgibt. Im April 2020 übernahm die niederländische Investmentgesellschaft Exor weitere Anteile und hält damit über die Hälfte der Gedi-Anteile. Exor gehört mehrheitlich der italienischen Unternehmerfamilie Agnelli und ist unter anderem größter Aktionär des Autobauers Fiat Chrysler und der britischen The Economist Group. Die neuen Besitzverhältnisse hatten umgehende personelle Veränderungen an der Spitze einiger Medien von Gedi zur Folge.

Des Weiteren ist der Unternehmer und Lega-Abgeordnete Antonio Angelucci zu nennen: Ihm gehören unter anderem die Zeitungen Il Giornale, Libero und Il Tempo. Im Frühjahr 2024 bekundete Angelucci sein Interesse, für kolportierte 40 Millionen Euro die zweitgrößte italienische Nachrichtenagentur AGI vom Energiekonzern Eni zu übernehmen. Nach Streiks der Redaktion und Protesten der politischen Opposition, wonach der Verkauf an ein Mitglied der Regierungskoalition den Medienpluralismus zu sehr einschränken könnte, scheiterte der Verkauf vorerst.

Die Öffentlich-Rechtlichen zum Sprachrohr der Regierung degradiert?

Beherrscht wird die italienische Medienlandschaft allerdings weiter vom Fernsehen – und auch dieser Markt ist in wenigen Händen konzentriert: Neben der öffentlich-rechtlichen RAI und Berlusconis Media for Europe (bis 2021 Mediaset) hat sich als dritte Größe der private Sender La7 profiliert, der seit 2013 im Besitz des oben erwähnten Urbano Cairo ist.
Der öffentlich-rechtliche Rundfunk seinerseits ist in Italien traditionell stark politisiert, denn die amtierende Regierung hat das Recht, den RAI-Verwaltungsrat zu ernennen – was Regierungen aller Couleur für politisch genehme Postenbesetzungen genutzt haben. Jedoch sorgten feste und ungeschriebene Regeln für eine gewisse Ausgewogenheit: Beispielsweise kommentierte RAI 1 eher staatstragend, RAI 2 eher rechts-, RAI 3 eher linkslastig.

Nach Einschätzungen von Medien-NGOs und europäischen Zeitungen des gesamten politischen Spektrums gehen die Eingriffe der Regierung Meloni deutlich über das gewohnte Maß hinaus. Kritische Sendungen wurden abgesetzt bzw. nicht verlängert. Beispielsweise wurde eine bereits fertig produzierte neue Staffel des Recherche-Formats Insider von Anti-Mafia-Autor Roberto Saviano gestrichen, obwohl die vergangenen Staffeln sehr gute Quoten erzielt hatten. Als der Schriftsteller Antonio Scurati zum Jahrestag der Befreiung Italiens vom Faschismus am 25. April 2024 im öffentlich-rechtlichen Fernsehen einen beauftragten Text vortragen sollte, in dem er Giorgia Meloni mangelnde Distanzierung von ihrer "postfaschistischen Vergangenheit" vorwirft, wurde er kurzfristig wieder ausgeladen. Rund 75 Prozent der RAI-Journalisten traten darauf in einen 24-stündigen Streik. Und als Meloni und ihre Fratelli d‘Italia im Vorfeld der Europawahl 2024 den gesetzlichen Grundsatz aushebeln wollten, wonach im Wahlkampf alle Parteien gleich viel Sendezeit erhalten müssen – Verlautbarungen von Regierungsmitgliedern sollten bei der Berechnung der Zeiten nicht mehr berücksichtigt werden –, kam es zu Protesten bis ins Regierungslager und das Vorhaben wurde vertagt. Im Zuge dieser Entwicklungen haben etliche Aushängeschilder wie Lucia Annunziata oder die Talkmaster Amadeus und Fabio Fazio die RAI verlassen, und die Einschaltquoten sind deutlich gesunken.

Gewalt und Gerichtsverfahren gegen Journalisten

Dass im Falle Italiens von einer zwar nicht grundsätzlich gefährdeten, aber doch beeinträchtigten Pressefreiheit gesprochen werden muss, hat jedoch auch mit einem anderen Faktor zu tun: der Einschüchterung. Etwa zwei Dutzend Journalisten leben in Italien unter ständigem Polizeischutz. Nicht nur die Mafia arbeitet mit massiven Einschüchterungsmethoden, vor denen Journalisten wie der Bestsellerautor Roberto Saviano geschützt werden müssen. Auch rechtsradikale Gruppen haben seit 2017 mit Gewalt versucht, freie Berichterstattung zu unterbinden. Zu den bedrohten Journalisten gehören auch Paolo Berizzi von La Repubblica und Nello Svaco von Avvenire.

Nicht zuletzt gehört Italien zu den europäischen Ländern, in denen Journalisten immer wieder sogenannten SLAPP-Klagen (Strategic Lawsuits Against Public Participation) – missbräuchlichen Einschüchterungsklagen durch einflussreiche Vertreter aus Wirtschaft, Politik und Justiz gegenüberstehen. Laut einer Studie des Europaparlaments für den Zeitraum 2022-2023 wurde mehr als ein Viertel aller EU-weiten SLAPP-Klagen in in Italien eingereicht. Neben Roberto Saviano besonders häufig betroffen waren in der Vergangenheit Marco Travaglio, Chefredakteur vonIl Fatto Quotidiano, und Federica Angeli: Die Justiz- und Mafia-Spezialistin von La Repubblica wurde nicht weniger als 167 Mal wegen Verleumdung angeklagt (Stand 2021). Solche Klagen sind meist chancenlos: Weniger als zehn Prozent werden überhaupt vor Gericht verhandelt, rund zwei Drittel gar nicht erst zugelassen. Nicht selten bleibt es dann auch bei einer öffentlichen Drohung. Und doch führen auch diese Einschüchterungsversuche teilweise zu einer Selbstzensur der Medienschaffenden, wie Reporter ohne Grenzen festhält – auch deshalb, weil Verleumdung in Italien als Straftatbestand behandelt wird und für Verleumdung in der Presse neben hohen Geldstrafen bis zu sechs Jahre Haft möglich sind – ein Relikt der faschistischen Mussolini-Diktatur. Die EU hat in ihren Rechtsstaatlichkeitsberichten mehrfach kritisiert, dass dies europäischen Standards für den Schutz von Journalisten nicht gerecht werde, und das italienische Verfassungsgericht hatte bereits 2021 eine Reform angemahnt, die jedoch von den Regierungsparteien im Parlament bisher nicht angegangen wurde.

Das Thema hat durch die Wahl von Giorgia Meloni zur Premierministerin zusätzlich an Brisanz gewonnen: Denn Meloni, Verteidigungsminister Guido Crosetto sowie Vizepremier und Verkehrsminister Matteo Salvini gehören zu jenen Politikern, die selbst SLAPP-Klagen gegen Journalisten angestrengt haben. Wie Italien die im April 2024 verabschiedete Anti-SLAPP-Richtlinie der EU umsetzt, wird zu beobachten sein.


Rangliste der Pressefreiheit (Reporter ohne Grenzen):
46 (2024)
Zuletzt aktualisiert: August 2024
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