Lettland: Investigative Recherche wird großgeschrieben

Das Coronavirus hat auch die Werbe- und Medienbranche Lettlands infiziert: Redaktionen ziehen ins Homeoffice um, Werbekunden stornieren oder verschieben ihre Kampagnen. Wie stark der Einbruch ausfallen wird, kann und will noch niemand beziffern. Doch die ersten Spuren sind sichtbar.

Lettische Enthüllungsjournalisten haben insbesondere Desinformationskampagnen über einen Supermarkteinsturz in Riga aufgedeckt. Im Jahr 2013 starben hier mehr als 50 Menschen.
Lettische Enthüllungsjournalisten haben insbesondere Desinformationskampagnen über einen Supermarkteinsturz in Riga aufgedeckt. Im Jahr 2013 starben hier mehr als 50 Menschen.
So haben lettische Medien die Regierung um Hilfe gebeten. Der Werbeverband forderte die Regierung auf, einen Unterstützungsplan für die Medien- und Werbebranche zu entwickeln, damit die Redaktionen ihren Betrieb fortsetzen und die Kontinuität der Informationen für die Öffentlichkeit gewährleisten können.

Doch bereits vor der Pandemie war die Liste der Probleme der lettischen Medienlandschaft lang: Das Mediensystem hat sich immer noch nicht von der Wirtschaftskrise 2009 erholt. Die Werbeeinnahmen sanken damals innerhalb eines Jahres um fast 50 Prozent. Der relativ kleine Medienmarkt und das nach Sprachen geteilte Publikum (lettisch und russisch) beeinflussen die Qualität des lettischen Journalismus. Zudem machen die Besitzverhältnisse deutlich, wie sehr die Medien mit der Politik verbandelt sind:

Die zweitgrößte Tageszeitung des Landes, Diena, gehört der Betreibergesellschaft des Handelshafens von Riga. Diese wiederum gehört Ainārs Šlesers (ehemaliger Wirtschafts- und Verkehrsminister sowie Bürgermeister von Riga) und Andris Šķēle (zweimaliger Premier zwischen 1995 und 2000).

Die drittgrößte Tageszeitung Neatkarīgā gehörte von 1999 bis 2016 dem lettischen Oligarchen Aivars Lembergs, der seit 1988 auch Bürgermeister der Stadt Venstpils ist. Ihm wurde vorgeworfen, die Zeitung für seine geschäftlichen und politischen Ziele einzusetzen. Wegen Korruptionsvorwürfen steht er seit Jahren vor Gericht. Im Frühjahr 2016 wurde der herausgebende Verlag Mediju nams an den Geschäftsmann Lauris Kāpostiņš verkauft. Dessen Schwester ist wiederum die Schwiegertochter von Aivars Lembergs.

Vermischung von Nachrichten und Meinungen

In Lettland existieren drei konkurrierende journalistische Kulturen. Vor allem in vielen russischsprachigen Medien werden oft Nachrichten und Meinungen vermischt. Daneben gibt es eine instrumentelle und autoritäre (postsowjetische) Journalismus-Kultur. Diese ist typisch für Medien, die nicht unabhängig sind von Politik und Wirtschaft. Als drittes gibt es aber auch Redaktionen, die hohe journalistische Standards einhalten.

Ein Beispiel für die letztgenannte Kategorie ist der Enthüllungsjournalismus, in dem Lettland unter den nord- und osteuropäischen Ländern mit innovativen Projekten hervorsticht. Das Leuchtturm-Projekt ist das durch Spenden und internationale Stipendien finanzierte Zentrum für Enthüllungsjournalismus Re:Baltica.

Auch in den öffentlich-rechtlichen Medien wird der Enthüllungsjournalismus ausgebaut. Die Sendung "De facto" des Fernsehsenders LTV berichtet wöchentlich über Korruption. Die LTV-Sendung "Aizliegtais paņēmiens" (Verbotenes Manöver) pflegt seit 2013 ein einmaliges Format, das auf verdeckten Recherchen basiert: Als Tellerwäscher oder junge Unternehmer getarnt deckten Journalisten in der Sendung die Hintergründe verschiedener politischer Vorgänge auf oder entlarvten Steuerhinterzieher und Korruptionshelfer sowie Instagram-Influencer. Auch die Sendung "Nekā personīga" („Nichts persönliches“) auf TV3 analysiert einmal wöchentlich aktuelle Vorfälle der Politik.

Scoops gegen Falschnachrichten und Desinformation


Auch in anderen Medien sind regelmäßig bedeutende Enthüllungen zu lesen, zum Beispiel in der Wochenzeitung Ir und auf dem Onlineportal Delfi. Ein Teil dieser Inhalte wäre ohne die Finanzierung durch einen staatlichen Fonds für Medienunterstützung nicht realisierbar.

Enthüllungsjournalisten haben auch eine Vielzahl an Fällen von Desinformation aufgedeckt. Am bekanntesten sind die Fälle, die Re:baltica veröffentlichte: Dubiose Onlineportale hatten falsche Nachrichten über die Tragödie des Einsturzes eines Supermarkts in Riga 2013 verbreitet. In der lettischen Gesellschaft stießen die Scoops von Re:Baltica auf großes Interesse, waren doch mehr als 50 Menschen in den Trümmern des Supermarkts gestorben. Seitdem wird nach gesetzlichen Möglichkeiten gesucht, um Desinformation einzudämmen. 2019 wurden die Betreiber der Onlineportale festgenommen und Strafprozesse gegen sie eingeleitet.

Rangliste der Pressefreiheit (Reporter ohne Grenzen): Platz 22 (2020)

Stand: April 2020

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