Was bringt die Nato-Norderweiterung?
Schweden und Finnland haben ihre Anträge zum Beitritt in die Nato eingereicht. Die Ratifizierung könnten nun bis zu einem Jahr dauern. Moskau bezeichnete die Pläne als "Fehler" und drohte mit Konsequenzen. Bedenken kamen zudem aus der Türkei. Europas Presse erörtert die Tragweite der Entscheidung.
Eine sicherere Zukunft
Die Neuzugänge stärken die baltische Sicherheit, betont Diena:
„Vor allem würde der Beitritt Finnlands und Schwedens die strategische Position der baltischen Staaten als gefährdeten Nato-Außenposten beenden. Die Ostsee würde zum Binnenmeer der Nato werden, Russlands baltische Marine und die Enklave Kaliningrad abschneiden und sie in eine belagerte Festung verwandeln. Und natürlich würde Finnland die [Nato-]Nordwestfront von Russland um 1.300 Kilometer verlängern und seine Fähigkeit, den baltischen Staaten einen konzentrierten Schlag zu versetzen, gründlich auflösen.“
Beitritt stärkt auch die EU
Jutarnji list schreibt:
„Der Nato-Beitritt Finnlands und Schwedens ist eine historische Veränderung. ... Sie bekommen mehr Schutz, womit auch die Sicherheit der EU gestärkt wird. ... Nun sind sich die meisten EU-Mitglieder einig, dass die Nato die Hauptstütze der euroatlantischen kollektiven Sicherheit ist. Finnland und Schweden werden ihren Beitrag leisten, denn obwohl sie keine bevölkerungsreichen Länder sind, haben sie ein modernes Militär und eine entwickelte Verteidigungsindustrie. In Anbetracht der großen Territorien der Staaten wird sich für sie die Mitgliedschaft in der Nato sehr wohl auszahlen, so wie es auch mit Norwegen war.“
Immerhin ein schwacher Trost
Die Gefahren durch die Nato-Norderweiterung lassen sich gut herunterspielen, glaubt Kommersant:
„Es sieht so aus, als würden die beiden neuen Rekruten auf zwei Punkten bestehen: Weder Finnen noch Schweden werden auf ihrem Gebiet Atomwaffen zulassen - und auch keine ausländischen Militärbasen. ... Wenn Russlands Führung das Problem nicht künstlich aufblasen und Emotionen anheizen möchte, werden diese Einschränkungen Anlass bieten, das eigene Volk zu beruhigen, indem man ihm erklärt: Die Militärinfrastruktur der Nato rückt nicht näher an die Landesgrenzen, also kein Grund zur Beunruhigung. Und außerdem haben Schweden wie Finnland - anders als die Ukraine - keine Territorialansprüche an Moskau. Das ist alles natürlich ein schwacher Trost, aber besser als gar keiner.“
Überrumpelte Skeptiker
Noch im Herbst hatte der schwedische Verteidigungsminister Hultqvist gesagt, dass es unter sozialdemokratischer Regierung nie einen Nato-Beitritt geben werde. Kolumnist Alex Schulman fühlt sich in Dagens Nyheter vom Nato-Zug überfahren:
„Wir, die wir uns fragen, ob das wirklich richtig ist, fragen uns immer noch, warum es so unglaublich dringend ist. Wir würden gerne eine vernünftige Diskussion führen, aber diejenigen, die entscheiden, befinden sich bereits bei Gesprächen mit der Türkei in Berlin. Wir, die wir vielleicht Nein sagen, versuchen alles zu verstehen, was jetzt passiert - aber wenn wir verstehen, ist es wahrscheinlich schon zu spät. Viele von uns werden jetzt überfahren – und das im Eiltempo. Wenn wir der Nato beitreten, machen wir es schneller als der Schall.“
Kooperation ist weiterhin möglich
Lapin Kansa ist überzeugt, dass die politische Eiszeit an der finnischen Ostgrenze nur vorübergehend ist:
„Die Präsenz der Nato im Norden erhöht die Schwelle für russische Aggressionen oder andere Angriffe. … Es muss aber betont werden, dass die Nato-Grenze Kontakte zwischen den Grenznachbarn nicht unterbindet. Norwegen ist ein gutes Beispiel dafür. Es ist seit mehr als 70 Jahren Mitglied der Nato und hat es dennoch geschafft, gute Beziehungen zu Russland an seiner Nordgrenze aufzubauen. Dass die Beziehungen jetzt auf Eis liegen, liegt nicht an der Nato, sondern an Wladimir Putin. ... Die Ostgrenze Lapplands ist jetzt praktisch geschlossen, aber es wird die Zeit kommen, in der sie für die Zusammenarbeit wieder geöffnet wird - ungeachtet der Mitgliedschaft Finnlands in der Nato.“
Neutralität ist kein Friedensgarant
Profil fordert eine seriöse Diskussion um Neutralität im eigenen Land:
„Österreich verzichtet bisher auf eine Debatte darüber, ob das Argument, das Finnland und Schweden zum Nato-Beitritt bewegt, stichhaltig ist. Ist es das? Es lautet im Wesentlichen so: Russland ist unter Wladimir Putins Herrschaft zu einer unberechenbaren Macht geworden. Die Invasion in der Ukraine zeigt, dass Putin auch bereit ist, einen Krieg gegen ein europäisches Land vom Zaun zu brechen. ... Wenn Putin etwa einen militärischen Schlag gegen die westliche Allianz verüben will, ohne einen Nato-Bündnisfall auszulösen, wer eignet sich dann als Ziel? Staaten, die ... nicht Mitglied der Nato sind. Derzeit wären das zum Beispiel Finnland, Schweden, Österreich ... . Finnland und Schweden fallen demnächst weg.“
Baltische Perspektive weiter stark machen
Für das Baltikum bietet die neue Situation der Nato und Europas auch eine Chance, meint Delfi:
„Die öffentliche Anerkennung, das Westeuropa Russland falsch eingeschätzt hat, und die Baltischen Staaten immer Recht gehabt haben, öffnet ein Fenster der Möglichkeiten. Dieses kann man mit dem Fenster der Möglichkeit für Finnland und Schweden vergleichen, der Nato beizutreten. In unserem Fall geht es aber nicht um einen Beitritt, sondern um eine Bitte, unsere Sicht zu verstehen und ihr zu folgen. Litauen und die anderen baltischen Staaten könnten eine entscheidende Rolle spielen, was eine neue Einschätzung Russlands angeht - dies könnte ein Fundament der neuen politischen Agenda sein. “
Schluss mit dem scheinheiligen Doppelspiel
Schwedens Linke muss sich nun endlich daran gewöhnen, dass das Land eindeutig zum Westen gehört, streicht Expressen heraus:
„Schweden wird nie wieder eine dritte Position zwischen Ost und West einnehmen. Wir werden uns nicht länger auf ein Doppelspiel einlassen können, bei dem wir heimlich militärisch mit den USA kooperieren und gleichzeitig in der Rhetorik die Schleusen für Antiamerikanismus öffnen. Wir werden ein westliches Land wie andere. All dem wird die Linke in diesem Frühjahr nachtrauern, während es für viele von uns eine Quelle unverschleierter Freude ist.“
Putin nicht in die Enge treiben
De Standaard warnt, dass die Nato-Erweiterung von Russland als weitere Provokation empfunden werden könnte:
„Was ist, wenn Putin sein nukleares Waffenarsenal einsetzt? Dann bietet die Nato-Mitgliedschaft nur wenig Schutz. Sich seiner Erpressung zu beugen, wäre eine schlechte Idee. ... Aber ihn zu sehr in die Enge zu treiben, kann ebenfalls fürchterliche Folgen haben. Im besten Fall werden Russland und die Ukraine verhandeln und zu einer diplomatischen Lösung kommen. Dann aber muss Putin ohne Gesichtsverlust den Abzug anordnen können. Er hat schon so oft damit gedroht einzugreifen, wenn Finnland oder Schweden Nato-Mitglied werden, dass er nach seiner Logik nichts anderes mehr tun kann, wenn das wirklich geschieht. Das macht einen Rückzug ohne Gesichtsverlust aber nur noch schwieriger.“
Die Spannung kann begrenzt werden
Moskau hat militärische Umstrukturierungen als Reaktion auf den Nato-Beitritt der beiden Ostseeländer angekündigt. Iswestija hofft trotz allem auf beidseitige Zurückhaltung:
„Es ist möglich, dass sie [Finnland und Schweden] nicht umgehend ausländische Truppenkontingente stationieren und auf demonstrativ eskalierende Schritte gegenüber Russland verzichten. Beispiele für derartige 'Sonderbeziehungen' gibt es ja: Man denke an Frankreich, dass recht eifersüchtig auf ausländische Militärpräsenz auf seinem Gebiet reagiert und sich weniger aktiv an Nato-Militärstrukturen beteiligt. Oder an die spezielle Haltung der Türkei, mit der wir trotz allem bis heute in Rüstungsfragen zusammenarbeiten. In einem solchen Szenario wird die russische Antwort sanfter ausfallen.“
Dialog mit Ankara suchen
Mit Gesprächen könnte die Türkei dazu gebracht werden, ihren Widerstand aufzugeben, hofft Ilta-Sanomat:
„Eine möglichst schnelle Ratifizierung durch die Nato-Staaten wäre im Interesse Finnlands. Sorge bereitet in erster Linie die Türkei, deren Präsident Recep Tayyip Erdoğan Finnland und Schweden nicht in der Nato willkommen geheißen hat. … Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg versicherte den Finnen am Sonntag, die Türkei habe deutlich gemacht, dass sie die Mitgliedschaft nicht blockieren werde. Wenn es immer noch Hindernisse gibt, sollte ein friedlicher, substanzieller und unverkrampfter Dialog mit der türkischen Führung geführt werden, notfalls mit Hilfe der USA.“
Man wird sich einigen
Dass der türkische Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu Bedenken gegen die Beitritte bekräftigte, sollte am Ende kein Hindernis sein, glaubt Corriere della Sera:
„Çavuşoğlus Kritik richtete sich vor allem gegen Schweden, wo am Wochenende ein internationales Treffen der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) stattfinden sollte, die sowohl von der EU, als auch von den USA als terroristische Organisation eingestuft wird. … Der türkische Diplomatiechef bekräftigte jedoch, dass die Türkei die Politik der offenen Tür der Nato unterstütze und deutete an, dass letztendlich eine Lösung gefunden werden könne. Auch Erdoğans Sprecher Ibrahim Kalin erklärte, dass die Türkei die Tür nicht schließe , sondern das Thema grundsätzlich als 'Frage der nationalen Sicherheit' anspreche.“