Italien nimmt Abschied von Berlusconi

Rom hat nach dem Tod von Ex-Premier Silvio Berlusconi Staatstrauer angeordnet. Zur Trauerfeier in Mailand werden um die 20.000 Anhänger erwartet. Der 86-Jährige, Vorsitzender der rechten Forza Italia, Bauunternehmer und Medienmogul, war einer der reichsten Männer Italiens. Gegen ihn wurde mehrfach ermittelt - wegen Steuerhinterziehung, Korruption und Kontakten zur Mafia. Vielschichtige Nachrufe in Europas Presse.

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Dire (IT) /

Außergewöhnlicher Vorgang

Die Presseagentur Dire hebt hervor:

„Die Ausrufung der Staatstrauer zum Tag des Staatsbegräbnisses am Mittwoch, dem 14. Juni, ist ein noch nie dagewesenes 'Zeremoniell' für einen ehemaligen Premier wie Silvio Berlusconi. Staatsbegräbnisse stehen denjenigen zu, die Ämter in Institutionen bekleidet haben, aber eine Staatstrauer wurde in Italien bisher nur für den Tod mehrerer Päpste (Johannes XXIII., Pius XII., Paul VI. und Johannes Paul II.), für zwei ehemalige Präsidenten der Republik (Giovanni Leone und Carlo Azeglio Ciampi) und für die Toten des Bombenanschlags in Nāṣiriya [12. November 2003, Irak-Krieg] ausgerufen. Niemals für einen ehemaligen Premier.“

RTV Slovenija (SI) /

Machtkonzentration bei einer Person

Berlusconi hatte bei seinen politischen Ambitionen keine wahre Konkurrenz, urteilt das Onlineportal von RTV Slovenija:

„Als er in die Politik eintrat, verschmolz sein gesamtes Geschäftsimperium zu einer einzigen, höchst effizienten Maschine zur Förderung seines politischen Projekts; eine Maschine, mit der niemand mithalten konnte. Auch half ihm die Kurzsichtigkeit seiner Gegner, die ihn stets unterschätzten. ... Und weil sie keine Alternative anbieten konnten, verloren sie jegliche Glaubwürdigkeit bei den Wählern. …. Silvio Berlusconi war das Konzentrat von allem, was heute die Gesellschaft moderner Demokratien regiert: Geld, Medieneinfluss und politische Macht. In Italien lag diese Kombination in den Händen eines einzelnen Mannes.“

Dmytro Tuzov (UA) /

Ein Politiker ohne Moral

Der Radio-NV-Journalist Dmytro Tusow meint auf seiner Facebook-Seite:

„Berlusconi war es schließlich, der sich bei einem Spaziergang durch das besetzte Unternehmen Massandra auf der russisch besetzten Krim für eine alte Flasche Wein interessierte. ... Das heißt, der italienische Milliardär und mehrfache Premier hatte meiner Meinung nach einen Plünderungsreflex. ... So wird mir Silvio Berlusconi in Erinnerung bleiben - ein reicher und von Geld und Macht korrumpierter Freund Putins, ein Mann ohne moralische Bremsen, aber mit einer Flasche teuren Weins in der Hand, den er mit Erlaubnis des Besatzers trinken wollte.“

Frankfurter Allgemeine Zeitung (DE) /

Infantile Respektlosigkeit

Die Frankfurter Allgemeine Zeitung lenkt den Blick auf Berlusconis Frauenbild:

„In den frühen Unterhaltungsshows seiner Sender wurden halb nackte Frauen zur Fleischbeschau vor die Kamera geführt, während Berlusconi ungeniert seine infantile Respektlosigkeit gegenüber (jungen) Frauen praktizierte. Zu seiner Selbstdarstellung als 'Familienmensch' passten diese Shows zum Fremdschämen so wenig wie die berüchtigten 'Bunga-Bunga-Partys' in den diversen Residenzen des milliardenschweren Unternehmer-Politikers. Womöglich ist es dieses dunkle Vermächtnis, das am schwersten auf der 'konservativen' Ära Berlusconi lastet.“

Libération (FR) /

Seine Methoden bleiben aktuell

Der Berlusconismus wird munter weitergeführt, beobachtet Libération:

„Die Öffentlichkeit belügen, Journalisten verachten, Richter bedrohen und nicht aufhören, sich immer wieder selbst als Opfer darzustellen - man könnte meinen, diese Methoden würden auf Dauer langweilig werden, doch Trump, Netanjahu, Modi oder Orban führen sie noch stärker fort. Man wird sich daran erinnern, dass Berlusconi bei seinem Tod am Montag immer noch Senator und immer noch sagenhaft reich und immer noch auf freiem Fuß war. Er hielt sich für unsterblich, er war es aber nicht. Aber auch wenn er am Mittwoch mit großem Tamtam in Mailand beerdigt werden soll, wird der Berlusconismus leider nicht so schnell verschwinden.“

La Repubblica (IT) /

Der erste Populist

Berlusconi hatte alles auf seine Person ausgerichtet und so wichtigen Institutionen Macht entzogen, analysiert La Repubblica:

„Denn als er 1994 an die Regierung kam, schwächte er alle Zwischeninstanzen, die moderne Demokratien auszeichnen: Er setzte das Format einer politischen Kraft durch, die ein getreues Spiegelbild ihres Anführers war; er reduzierte die Rolle des Parlaments, duellierte sich mit dem Staatspräsidenten, indem er die alleinige Exekutivmacht beanspruchte. ... Er lieferte sich eine direkte Auseinandersetzung mit der Justiz und betrachtete sie als politischen Gegner. Er setzte auf eine Mischung aus Information und Unterhaltung, bei der die Qualität der Nachrichten an Bedeutung verliert; er zentralisierte die gesamte politische und institutionelle Kommunikation auf seine Person.“

Corriere della Sera (IT) /

Weder Übeltäter noch Retter

Corriere della Sera sieht vor allem den Begründer einer neuen Rechten:

„Berlusconi war ein Phänomen, Frucht des italienischen Übels und gleichzeitig sein Heilungsversuch. ... Er war nicht der Übeltäter, der ein naives Volk mit einer Dosis Fernsehschwindel erobert, wie er beschrieben wurde, aber auch nicht der Retter des Vaterlandes, der Italien von den Kosaken von Achille Occhetto [Generalsekretär der Linkspartei PDS, die bei der Parlamentswahl 1994 von Berlusconi besiegt wurde] befreite. ... Vielmehr war er im Guten wie im Schlechten der Begründer einer neuen Rechten und einer neuen Politik mit liberalistischen Ambitionen und populistischen Zügen, die die Welt in Aufruhr versetzte und die italienische Szene zwanzig Jahre lang beherrschte, selbst als er in der Opposition war.“

Irish Examiner (IE) /

Die extreme Rechte salonfähig gemacht

Als Berlusconi 1994 die Alleanza Nazionale mit ihren neofaschistischen Wurzeln in die Regierung holte, brach er ein Tabu mit weitreichenden Folgen nicht nur für Italien, zieht Irish Examiner Bilanz:

„Die Alleanza Nazionale änderte ihren Namen in Fratelli d'Italia und ist heute die größte Partei in der italienischen Politik. Anführerin Giorgia Meloni ist derzeit Italiens Premierministerin. Dank Berlusconi wurde der Neofaschismus in Italien normalisiert. Und Berlusconis Erbe reicht weit über Italien hinaus. Er legitimierte die extreme Rechte in Europa und war eng mit Viktor Orbán in Ungarn verbunden. Berlusconi war auch stolz auf seine enge Freundschaft mit Wladimir Putin. Und natürlich ebnete Berlusconi den Weg für Donald Trump und die Rechtsextremen in Amerika.“

Público (PT) /

Er gewann die Außenseiter für sich

Berlusconi konnte diejenigen erreichen, die sich von niemandem vertreten fühlten, schreibt Público:

„Berlusconi war jemand, der mit seiner Unverfrorenheit, seiner Fähigkeit, sich gegen das System zu stellen, sowohl Mängel als auch Qualitäten anzupreisen, seinen Wählern sagte, dass es keinen Grund gebe, sich in einer Welt zu schämen, in der sie sich verloren fühlen. Seine Wähler konnten schmutzig, hässlich und schlecht sein, sogar bedauernswert, es gab jemanden, der sich ihrer nicht schämte. Diese Fähigkeit, großen Teilen einer Wählerschaft, die sich im Stich gelassen fühlt, Zugehörigkeit zu vermitteln, bleibt eine Herausforderung für diejenigen, die wollen, dass Demokratien weniger den Turbulenzen der Populisten ausgesetzt sind.“

Naftemporiki (GR) /

Politik als Showbusiness

Italiens Ex-Premier baute den Politikbetrieb buchstäblich in einen Medienbetrieb um, erläutert Naftemporiki:

„Der Cavaliere verwandelte Italien in einen 'Medienstaat', in dem es - bei voller Kontrolle über die Medien - keine anderen Parteien, keine politischen Programme gab. Nur Geld und Ruhm. Mit seinen privaten Fernsehsendern war er gleichzeitig der Schöpfer einer modernen 'Unterhaltungsdemokratie'. Er holte die Chefs seiner Werbefirma Publitalia und die Stars der Shows seiner privaten Fernsehsender in die Regierung. Insgesamt wurden Silvio Berlusconi mehr als 20 Skandale und Korruptionsfälle vorgeworfen. Und doch wählten ihn die Italiener immer wieder: 1994, 2001 und 2008.“

Lidové noviny (CZ) /

Wenn Unternehmer einen Staat führen

Lidové noviny stellt Berlusconi an den Beginn einer Reihe ganz ähnlicher Politiker:

„Nach ihm kamen Netanjahu in Israel, Trump in den USA, Babiš in Tschechien. Alle sind mit der Wirtschaft, ihren Medien und der Spaltung der Gesellschaft verknüpft. Und sie haben noch etwas gemeinsam: Dass viele Angst vor ihrer Rückkehr nach Wahlen haben. Netanjahu ist zweimal zurückgekehrt, bei uns und in den USA liegt die Angst davor in der Luft. Weshalb? Sind diese Leute der Teufel in Menschengestalt? Es hängt davon ab, wie man das sieht. Als Berlusconi mit (dem libyschen Machthaber) Gaddafi einen Deal zum Thema Migration aushandelte, rümpften bessere Leute die Nase. Wenn sie das jetzt zerstörte Libyen betrachten, erinnern sie sich vielleicht mit Wehmut daran.“