EU erzielt Migrationsabkommen mit Tunesien
Die EU hat mit Tunesien einen Pakt zur Eindämmung von Migration über das Mittelmeer geschlossen. Gegen Finanzhilfen von bis zu 900 Millionen Euro soll Tunesien härter gegen Schlepper und illegale Überfahrten in Richtung Europa vorgehen. Kommentatoren fragen sich, ob ein derartiger Deal mit einem repressiven Präsidenten funktionieren kann und was das für die Menschenrechte bedeutet.
Auf diplomatischem Glatteis
Die Einhaltung von Menschenrechten muss kontrolliert werden, mahnt die Kleine Zeitung:
„Wenn es der EU ernst und der moralische Kompass noch intakt ist, dann müssen die Verträge mit den Drittländern so gestaltet sein, dass die EU Kontroll- und Einflussmöglichkeiten ausüben kann und die Steuermillionen tatsächlich nur dann fließen, wenn die Ziele des Abkommens eingehalten werden. Dazu gehören auch die Einhaltung der Menschenrechte und eine menschenwürdige Behandlung. ... So oder so muss uns aber bewusst sein, dass Europa den nordafrikanischen Ländern nicht nur viel Geld, sondern auch ein Machtinstrument in die Hand gibt. Die Union begibt sich damit auf diplomatisches Glatteis in der Wüste.“
Unterstützung für den Diktator
Ein Abkommen für den Hausgebrauch, wettert La Repubblica:
„Es handelt sich nicht um ein Abkommen zwischen der EU und Tunesien, sondern zwischen der EU und Kais Saied, Tunesiens Diktator. Das ist kein unwichtiges Detail, denn das andere Tunesien - Richter, Politiker, Journalisten, Intellektuelle, Gewerkschafter, Vertreter der Zivilgesellschaft – wird je nach Laune von Saïed ins Gefängnis gesteckt oder freigelassen oder aber hat den Weg des Exils gewählt. Meloni und Saied brauchen den Deal aus innenpolitischen Gründen. ... Meloni kann nun den Italienern erzählen, dass sie die irreguläre Einwanderung gebremst hat, und Saied kann, gestärkt durch diese internationale Legitimation, zu seiner Lieblingsbeschäftigung zurückkehren, nämlich jegliche Kritik zu unterdrücken.“
Ein schmutziger Deal
Der moralische Preis für das Abkommen ist zu hoch, kritisiert die Süddeutsche Zeitung:
„Bisher hörte man, dass die tunesische Küstenwache auf Flüchtlingsboote schießt, um sie noch innerhalb der eigenen Hoheitszonen aufzuhalten; jetzt soll diese Küstenwache mit EU-Geld aufgerüstet werden. Zugleich schürt der Machthaber den Zorn im Land auf die Migranten, einige von ihnen werden zurück in die Wüste getrieben, wo sie verdursten. Das darf die EU nicht zulassen.“
EU muss ihre Grenzen selbst schützen
Hier wurde der falsche Weg gewählt, meint Lidové noviny:
„Tunesien ist das friedlichste Land in der Krisenregion Nordafrika. Reisebüros locken dort Kunden an. Wieso haben Tunesier dann den größten Anteil am Migrationsstrom nach Europa? ... Tunesien scheint weniger unfähig denn unwillig zu sein. ... Die EU ist trotzdem auf das Land ebenso wie auf die Türkei zugegangen. Aber kann das Abkommen – selbst wenn es funktioniert – die Massenmigration eindämmen? Wer patrouilliert an der Küste? Hat der tunesische Präsident nicht Recht, wenn er sagt, dass sein Land nicht der Hüter der europäischen Grenzen sein wird? Ja, die EU muss ihre Grenzen selbst schützen. Kann sie das nicht oder will sie das nicht?“