Neue Regierung: Was kommt auf die Niederlande zu?
Die neue rechte Vier-Parteien-Koalition will in den Niederlanden "das strengste Asylrecht aller Zeiten" einführen. Für die Bauern soll es nach dem Regierungsprogramm weniger Umweltauflagen geben. Der Koalitionsvertrag zeige, dass sich viele Dinge ändern würden, erklärte der Chef der rechtspopulistischen PVV, Geert Wilders. Kommentatoren diskutieren die Auswirkungen über das Land hinaus.
Ein Geschenk des Himmels für Rechtsaußen
Europa muss sich Sorgen machen, warnt NRC-Kolumnist Michel Kerres:
„Der Vertrag atmet einen bedrückenden Nationalismus. Wilders sagte am Donnerstag: 'Ich verspreche den Niederlanden: Die Niederlande werden wieder uns gehören.' Dabei musste man sofort an den unglücklichen Brexit-Slogan denken: 'Take Back Control'. Es ist auf jeden Fall keine Einladung zur Zusammenarbeit an die EU. Aber das wichtigste Signal, das Den Haag an Europa sendet, ist, dass es für einen radikal-rechten Unruhestifter möglich ist, in einem wohlhabenden Land mit reicher demokratischer Tradition die Macht zu ergreifen. ... Kurz vor den europäischen Wahlen ist ein strahlender Wilders ein Geschenk des Himmels für alle Wahlkämpfer der Radikal-Rechten.“
...und am Ende gibt man wieder Brüssel die Schuld
Das wird schiefgehen, meint De Volkskrant:
„Diese Politik wird festlaufen. Erst in Brüssel, wo deutlich werden wird, dass die europäische Asylpolitik so nicht funktioniert. Danach bei nationalen und europäischen Gerichten, die Immigrations- und Umweltregeln durchsetzen werden. Und mit Blick auf den folgenden Wahlkampf bekommen dann die verdammten Richter und das große böse Brüssel die Schuld in die Schuhe geschoben. So nährt der Populismus sich selbst.“
Wo bleibt die Entrüstung?
Im Vergleich zu den Reaktionen auf andere rechten Regierungskoalitionen bleibt es viel zu ruhig, klagt L’Opinion:
„Kein europäischer Boykottversuch wie damals, als der sehr junge und sehr rechte Sebastian Kurz mit extremistischen Ministern in Österreich die Regierung übernahm. Keine Schreie oder Druckmaßnahmen wie damals, als der Ungar Viktor Orbán seinem Land einen äußerst radikalen populistischen Kurs verpasste. Kein Zittern oder Aufregung wie damals, als Giorgia Meloni in Rom Regierungschefin wurde. Handelt es sich um eine Art Gewöhnung? Zwar hat der aufrührerische Geert Wilders versprochen, nicht die Regierung zu leiten. Wird das jedoch ausreichen, um die Grobheiten seines Programms auszuradieren?“
Ein europaweiter Trend
Rechtspopulistische Parteien finden im Kreis junger Menschen immer größeren Zulauf, analysiert die Neue Zürcher Zeitung:
„Brechen die Deiche in den Niederlanden? Beginnt dort, was viele für ganz Europa befürchten: die Machtübernahme von Rechtspopulisten, welche die Grundwerte der liberalen Demokratie unterspült? ... In vielen Ländern Europas geht der Trend in die gleiche Richtung. Und es sind immer mehr Junge (darunter überdurchschnittlich viele Männer), die ihre Stimme den Rechtsaussenparteien geben. Das zeigte sich beim Erfolg der Chega-Partei in Portugal, bei den aktuellen Umfragewerten von Marine Le Pens Rassemblement oder auch in Flandern, wo über ein Drittel der Jungwähler im Juni den Vlaams Belang wählen wollen.“
Das muss nicht zum Vorbild werden
Auf Alternativen zum niederländischen Modell verweist Le Soir:
„Das Beispiel aus Den Haag verleitet nicht gerade zum Träumen, doch es gibt andere, ruhmreichere. Portugals Rechte hat der extremen Rechten gerade einen Korb gegeben, auch auf die Gefahr hin, eine sehr unbequeme Minderheitsregierung bilden zu müssen. Und andere Liberale lehnen im Europaparlament von vornherein jegliches kompromittierende Bündnis ab. Es bleibt zu hoffen, dass es nach einem etwaigen Wahlerfolg der Parteien, die aus Egoismus und Ablehnung des anderen eine erfolgreiche Industrie gemacht haben, noch Männer und Frauen gibt, die diese 'Normalität' ablehnen und über die Deiche hinausblicken.“
Neuwahlen wären für fast alle unattraktiv
Wieso die Partner dieses politische Experiment wagen, analysiert De Volkskrant:
„Der Mangel an Begeisterung und Inspiration bei den vier Parteien bleibt bis zum letzten Moment. ... Gewöhnlich ist es für einen solch komplizierten Prozess gut, wenn das gegenseitige Vertrauen groß ist. ... Wenn er jetzt scheitert, dann gibt es Neuwahlen. Für drei der vier beteiligten Parteien bleibt das vorläufig ein sehr unattraktives Szenario, da sie wissen, dass nur Wilders seit der Wahl noch mehr an Popularität gewonnen hat. Ernsthafte Konkurrenz von rechts muss er vorerst nicht fürchten. Diese Erkenntnis ist vorläufig das Fundament, auf dem das neue Kabinett gebaut wird. “
Wilders hat die Fäden in der Hand
Der Wahlsieger PVV wird die Politik auch ohne Wilders an der Regierungsspitze bestimmen, La Repubblica:
„Auf das Amt des Premierministers hatte Wilders verzichtet, weil er in Brüssel eine zu spaltende und kaum repräsentable Figur ist, aber mit seinen Stimmen wird er der eigentliche Herrscher der neuen Exekutive sein.... Der Souveränist, der sich in den sozialen Medien stets angriffslustig äußert, wird die Politik der fünften Volkswirtschaft der EU bestimmen, eines Landes, das in den letzten Jahren oft im Mittelpunkt der Debatten stand, wegen seiner Unterstützung für Kyjiw und in zwei für Italien wichtigen Fragen, nämlich den EU-Fonds und der Umverteilung von Migranten, bei denen Wilders sicherlich kein Unterstützer von Meloni sein wird.“
Die Stunde Null
Jetzt müssen die rechten Kräfte den Nachweis liefern, dass sie regierungsfähig sind, meint De Telegraaf skeptisch:
„Nicht nur für die PVV steht viel auf dem Spiel. Für jeden Politiker, der in den vergangenen zwölf Jahren nach einer wirklich rechten Regierung verlangte, ist jetzt die Stunde Null angebrochen. Wenn diese Zusammenarbeit im selben Chaos ausartet, die auch ihr Zustandekommen kennzeichnete, wird sehr schnell die Schlussfolgerung gezogen werden, dass die beteiligten Parteien der Verantwortung nicht gewachsen sind.“
Ein Verlust für Europa
Wilders’ Regierungsübernahme ist ein Wendepunkt, stellt die Frankfurter Rundschau fest:
„Mit Wilders’ Freiheitspartei stellt erstmals eine Bewegung die stärkste Kraft einer Regierung in der EU, die im Europaparlament der rechtsradikal bis extremen Fraktion Identität und Demokratie (ID) angehört. Mit im Boot: AfD, FPÖ und Marine Le Pens Rassemblement National (RN) sowie 'Die Finnen', in Helsinki Juniorpartner. Das unterstreicht die Bedeutung der Europawahl im Juni. Die Niederlande fallen aus als Mittler auf EU-Ebene. Ein echter Verlust. Für Deutschland und Europa.“