Wie soll die EU mit Orbán umgehen?

In Europas Kommentarspalten ist erneut eine Debatte um die EU und Ungarn entbrannt. Premier Viktor Orbán hatte bei der wichtigen Entscheidung über Beitrittsgespräche mit der Ukraine und Moldau den Raum verlassen. Während die einen nun härtere Maßnahmen gegen Orbán fordern, mahnen andere dringende EU-Reformen an.

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Financial Times (GB) /

Den Spielverderber an die Kandare nehmen

Die Staats- und Regierungschefs der EU sollten voll auf finanzielle Druckmittel setzen, rät Financial Times:

„Seit 2021 wurden an Ungarn Zahlungen in Milliardenhöhe aufgrund von Bedenken hinsichtlich der Rechtsstaatlichkeit des Landes blockiert. Vergangene Woche versuchte der ungarische Premier dann, seine Haltung zur Ukraine als Druckmittel einzusetzen, um die eingefrorenen Finanzmittel freizusetzen. Er weiß zudem, dass Ungarns Anteil am finanziellen Kuchen bei einer zukünftigen EU-Mitgliedschaft Kyjiws schrumpfen würde ... Orbán hat gezeigt, dass er ein 'Spielverderber' sein kann. Die EU sollte daher die ihr zur Verfügung stehenden Mittel mit doppelter Wucht einsetzen, um sein Fehlverhalten zu unterbinden.“

Äripäev (EE) /

Verfahren auch offiziell anpassen

Die EU sollte Konsequenzen aus Orbáns Mätzchen ziehen, findet Äripäev:

„Die Besorgnis über die Nachhaltigkeit des derzeitigen Entscheidungsprozesses der Europäischen Union ist berechtigt. Wir sollten nicht versuchen, die Debatte zu leugnen oder zu beenden, sondern sie zu unserem Vorteil nutzen. Die Entscheidung des Europäischen Rates, Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine und Moldau aufzunehmen, die überraschend schnell und einfach zustande kam, kann als Vorbild dafür dienen, dass die eigennützige Sturheit eines Mitgliedstaates - Ungarn - nicht zu einem Hindernis für den einstimmigen Entscheidungsprozess der EU werden muss. Sie ist aber auch ein Beleg dafür, dass es an der Zeit ist, die Verfahren auf offizieller Ebene anzupassen.“

Neatkarīgā (LV) /

Keine einfache und schnelle Lösung

Neatkarīgā plädiert für Augenmaß:

„Es ist natürlich zu bedenken, dass man beim Ausüben von Druck auf Ungarn und der Suche nach rechtlichen Mechanismen leicht übers Ziel hinausschießen könnte. ... Schließlich können solche Mechanismen eines Tages gegen jeden EU-Mitgliedstaat eingesetzt werden, auch uns. Daher gibt es keine einfachen und schnellen Lösungen. Man sollte vielleicht lieber nichts überstürzen, auch wenn bereits vor Orbáns Aktion Debatten über die Reform des EU-Governance-Modells begonnen haben. ... Eine andere Frage ist, wie lange diese Debatte dauern wird, wenn man berücksichtigt, dass die Wahlen zum Europäischen Parlament bereits im Juni 2024 anstehen.“