Sorge wegen US-Truppenabzug aus Afghanistan

Die USA werden auf Anordnung von Präsident Trump ihre Truppenstärke in Afghanistan bis Mitte Januar kommenden Jahres von rund 4.500 auf 2.500 Soldaten senken. Auch aus dem Irak soll bis dahin ein weiteres Fünftel der US-Streitkräfte abziehen. Eine Katastrophe für die Region, schreiben Kommentatoren - und ein weiterer Stresstest für die militärische Zusammenarbeit mit und in Europa.

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Deutschlandfunk (DE) /

Ein dreifaches Desaster

Der Abzug wird mit erheblichen Kollateralschäden einhergehen, befürchtet der Deutschlandfunk:

„[M]ilitärisch, diplomatisch und politisch gleichermaßen. Militärisch, weil die gesamte Afghanistan-Mission in Frage gestellt wird. Die Sicherheit der internationalen Truppen in Afghanistan ist gefährdet. ... Diplomatisch ist die Entscheidung ein Desaster, weil damit die Verhandlungen mit den Taliban zum Scheitern verurteilt sind. Sie werden sich nicht mehr an Vereinbarungen gebunden fühlen, wenn es keine glaubhafte Drohkulisse mehr gibt. ... Politisch ist Trumps Alleingang ein massives Sicherheitsrisiko. Das Vakuum im Irak werden der Iran und Russland schnell füllen. Und Afghanistan könnte erneut zur Drehscheibe für islamistischen Terror werden.“

Hospodářské noviny (CZ) /

Das erschüttert die internationale Allianz

Auch Hospodářské noviny fürchtet enormen Schaden:

„Trump scheint eines seiner wichtigsten Wahlversprechen zu erfüllen. Die Realität ist jedoch, dass überall dort, wo Soldaten gegangen sind, jemand begonnen hat, das entstandene Machtvakuum zu füllen. ... Und außerdem: Was sollen die Alliierten in Europa denken, die ihre Truppen auf gemeinsame Missionen geschickt haben, bei denen die amerikanische Unterstützung von entscheidender Bedeutung ist. Die stehen nun vor vollendeten Tatsachen. Die Glaubwürdigkeit eines Bündnisses steht und fällt mit dem Prinzip 'Wir gehen da gemeinsam hin und wir gehen zusammen auch wieder weg'.“

Der Standard (AT) /

Die Taliban werden sich freuen

Der US-Präsident stellt den islamistischen Ex-Herrschern quasi einen Freifahrtschein aus, schreibt Der Standard:

„Vor neun Monaten schloss die US-Regierung mit den afghanischen Taliban – die sie im Herbst/Winter 2001 gestürzt hatten – einen umstrittenen Deal: Die USA würden sich aus Afghanistan zurückziehen, wenn sich die Taliban in Verhandlungen mit der afghanischen Regierung auf eine Machtteilung einigen und dafür sorgen, dass transnationale jihadistische Gruppen wie Al-Kaida und der 'Islamische Staat' draußen gehalten werden. Zuletzt liefen diese Verhandlungen schlecht, und die von den Taliban ausgehende Gewalt stieg wieder an. Damit beantwortet sich die Frage, wer der Profiteur der US-Truppenreduktion ... sein wird. Die Taliban wissen nun, dass die USA abziehen, ganz gleich, ob es eine ernsthafte Machtteilung ... geben wird.“

La Repubblica (IT) /

Kaum Hoffnung auf europäische Antwort

Brüssel könnte die Situation nutzen, um eine eigene Verteidigungspolitik im Rahmen der Nato vorzustellen. Nur herrscht mal wieder Uneinigkeit, bedauert Vize-Chefredakteur Gianluca Di Feo in La Repubblica:

„Europäische Einheiten könnten die US-Einheiten in Afghanistan ersetzen, wobei sie sich stets auf die Ausbildung lokaler Truppen beschränken würden, und Garanten für den friedlichen Übergang des Landes sein. Ein Ansatz, der der Vision entspricht, die Ministerin Annegret Kramp-Karrenbauer in ihrer Rede vor Bundeswehrkadetten vor zwei Wochen vorgestellt hat. Paris, das mit Präsident Macrons Intervention vor einigen Tagen selbst den Willen zum Ausdruck gebracht hat, die militärischen Fähigkeiten der Union zu stärken, scheint dem aber nicht zuzustimmen. Für Frankreich liegt die Priorität in der Sahelzone, in der sich der islamistische Guerillakrieg auszubreiten und Europa zu gefährden droht.“