London bereitet harten Brexit vor

Die britische Regierung hat damit begonnen, die Bevölkerung und heimische Unternehmen auf einen harten Brexit ohne Abkommen mit der EU vorzubereiten. In 25 Dokumenten beschreibt sie dessen Folgen unter anderem für die Versorgung mit Lebensmitteln und Medikamenten, die Nuklearsicherheit und den Flugverkehr. Eine Drohkulisse Londons, um Zugeständnisse von der EU zu erzwingen?

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ABC (ES) /

EU bekommt schwarzen Peter zugeschoben

Was London mit dem Krisenszenario bezwecken will, erklärt ABC:

„In Wirklichkeit richtet sich der Bericht nicht an die Briten. Vielmehr will man damit die europäischen Unterhändler unter Druck setzen und sie für die negativen Folgen verantwortlich machen, die den Normalbürger treffen, sollte man auf die - selbstverständlich völlig inakzeptablen - Forderungen der britischen Regierung nicht eingehen und eine Einigung blockieren. Man sollte daran erinnern, dass es nicht die EU ist, die Großbritannien hinauswerfen will. Es waren die britischen Nationalpopulisten und die verantwortungslosesten Teile der Tories, die das Umfeld schufen, das 2016 zum bekannten Resultat im Referendum führte.“

Neue Zürcher Zeitung (CH) /

Drohungen könnten nach hinten losgehen

Londons Taktik könnte nicht aufgehen, warnt die Neue Zürcher Zeitung:

„Handelsminister Liam Fox veranschlagte die Wahrscheinlichkeit eines Scheiterns unlängst auf 60 zu 40. Diese Schätzung gehört zur Londoner Verhandlungstaktik, genau wie die Warnungen, wie schädlich ein 'harter' Brexit wäre. Die Regierung möchte Brüssel zeigen, was beide Seiten verlieren können, wenn man sich nicht einigt. Aber je lauter sie den Schrecken eines No-Deal über den Kanal ruft, umso hellhöriger werden auch die Briten. ... Diese Drohkulisse funktioniert schlecht, wenn die Regierung zugleich der eigenen Bevölkerung versichern muss, der Brexit werde glimpflich ablaufen. Das wird Brüssel interessiert zur Kenntnis nehmen. Auf der argumentativen Gratwanderung zwischen heimischen und europäischen Adressaten macht die britische Regierung keine gute Figur.“

De Standaard (BE) /

May kann nicht auf Milde hoffen

Das Scheitern der Brexit-Verhandlungen wäre katastrophal, warnt De Standaard:

„Der dramatische Versuch, mehr als 40 Jahre politische, wirtschaftliche, finanzielle und logistische Integration auszumerzen, wird einen hohen Preis haben. ... Eine unbeugsame Position wird auch für die EU-Mitgliedsstaaten keinen wirtschaftlichen Vorteil bringen. Wenn der Handel nach dem Brexit schwieriger verläuft, dann werden darunter alle Seiten leiden. ... Dennoch kann May nicht auf Europas Milde hoffen. Die Union kann keinen Präzedenzfall schaffen und Ausreißern ihren Willen lassen. Aufschub und das Verlängern der Verhandlungsphase ist das höchste, auf das sie hoffen kann.“

Svenska Dagbladet (SE) /

Schon de Gaulle warnte vor den Briten

Dass sich die Stimmung in Großbritannien noch immer drehen und eine Mehrheit gegen den Brexit sein könnte, glaubt Svenska Dagbladet:

„Charles de Gaulle [Frankreichs Präsident von 1959 bis 1969] hat seiner Zeit sein Veto gegen die britische EU-Mitgliedschaft eingelegt. Aus der historischen Perspektive erscheint dies nun als ziemlich einsichtsvoll. Die britische Geschichte, das Empire, hat weiter eine starke Stellung in der Mentalität der Briten und der Austritt liegt genau auf dieser Linie. Aber das bedeutet nicht, dass die Sache damit vorbei ist. Wenn wir eines über Volksabstimmungen wissen, dann, dass sie niemals beendet sind.“

Wiener Zeitung (AT) /

Großbritannien fehlt die Opposition

Die Brexit-Verhandlungen offenbaren die dramatische Lage der britischen Institutionen, findet die Wiener Zeitung:

„Zur Tragödie wird der Brexit, weil auch die oppositionelle Labour-Partei unter Corbyn meilenweit von der Regierungsfähigkeit entfernt ist. Corbyn hat es auch nach drei Jahren nicht geschafft, die Partei zu einen; dazu ist völlig unklar, wie der 69-jährige langjährige Linksaußen-Unterhaus-Hinterbänkler selbst, und mit ihm seine Partei, zum Brexit beziehungsweise zur EU steht. ... In Großbritanniens Zwei-Parteien-System sind derzeit beide Parteien weit davon entfernt, regierungsfähig im eigentlichen Wortsinn zu sein. Und wenn man dann noch bedenkt, dass sich spätestens seit der Brexit-Kampagne auch die Massenmedien als stabilisierender Anker der Vernunft abgemeldet haben, beginnt man die wahren Ausmaße der Krise der britischen Institutionen zu erahnen.“