Dezember in Estland: Schulen zu, Kirchen auf

Die estnische Regierung hat am Mittwoch ihre Corona-Maßnahmen verschärft und unter anderem alle Schulen geschlossen. Im Nordosten des Landes, der eine der höchsten Infektionsraten in Europa aufweist, sind sogar alle öffentlichen Aktivitäten für drei Wochen verboten - mit einer Ausnahme: Die Kirchen bleiben im ganzen Land geöffnet. Die Landespresse schüttelt den Kopf.

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Eesti Päevaleht (EE) /

Ohne jeden Sinn für die Gefahr

Die Regierung hört nicht auf Experten und handelt wie ein kopfloses Huhn, klagt Eesti Päevaleht:

„Auch wenn die evangelische Kirche sich schon seit einigen Jahren wie eine politische Partei benimmt, sind Staat und Kirche bei uns weiterhin getrennt und eine Staatskirche gibt es nicht. Neulich haben die Koalitionsparteien zwar bei der Geldvergabe deutlich gezeigt, wie wichtig Glaube und Kirche in der estnischen Politik geworden sind. Doch trotz allem sollte es in der Regierung noch genug Verstand geben, um zu verstehen, wie gefährlich es ist, vor Weihnachten alles außer die Kirchen zu schließen. Das bedeutet garantierte Krankheitsnester. Wer übernimmt dafür die Verantwortung? Wann ist es dazu gekommen, dass der Glaube in Estland das Wichtigste ist - sogar wichtiger als Menschenleben?“

Eesti Rahvusringhääling (ERR Online) (EE) /

Kirche hat zu viel Einfluss

Auch Kommentator Meelis Oidsalu kritisiert auf der Website des Estnischen Rundfunks ERR die Sonderrolle der evangelischen Kirche:

„Die Freiheit, nicht zu glauben, ist ein Teil der Glaubensfreiheit. Die Idee der Staatskirche respektiert diese Freiheit nicht. Der Sonderstatus der evangelischen Kirche zeigt sich auf staatlichen Zeremonien und durch Kaplane in Ämtern. Wundert sich jemand, dass der größte Immobilienbesitzer des Landes - die lutherische Kirche - auch während der Epidemie so erfolgreich zusätzliche staatliche Finanzhilfen bekommen hat? ... Ich finde nicht, dass die Kirche im estnischen Gesellschaftsleben keine aktive Rolle spielen soll. Im Gegenteil, Religion ermöglicht gesellschaftlichen Zusammenhalt und hat auch mir persönlich geholfen. Aber die Existenz einer De-facto-Staatskirche setzt die Glaubensfreiheit unter Druck.“