Justizreform der Regierung spaltet Israel

In den vergangenen Tagen haben erneut Tausende Israelis gegen die von der Regierung geplante Justizreform demonstriert und gestreikt. Sie sieht unter anderem vor, dass neue Gesetze auch dann verabschiedet werden können, wenn sie gerichtlich als verfassungswidrig eingestuft werden. Im Parlament kam es im Streit um die Reform zu heftigen Tumulten. Kommentatoren sind alarmiert.

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Tages-Anzeiger (CH) /

Das Land steht am Scheideweg

Peter Münch, Korrespondent in Tel Aviv, beschreibt im Tages-Anzeiger Israel als völlig aus den Fugen geraten:

„Israels Politikbetrieb gleicht in diesen Tagen einem Tollhaus. Die Knesset, das Parlament in Jerusalem, ist ein Platz der Tränen und Tumulte, und draussen versammeln sich die Massen zum wütenden Protest. Von einem Staatsstreich ist die Rede, vor Blutvergiessen wird gewarnt und vor einem Bürgerkrieg. Kurzum, es tobt ein Kampf in und um Israel – und dieser Kampf droht für den jüdischen Staat gefährlicher zu werden als alle Angriffe von aussen. … Der Staat Israel steht im 75. Jahr seines Bestehens tatsächlich an einem Scheideweg.“

Le Monde (FR) /

Grundpfeiler des Rechtsstaates gefährdet

Das Vorhaben der Regierung ist ein fundamentaler Angriff auf die Demokratie, warnen die Juristen Sir Jonathan Faull und Joseph H. H. Weiler in Le Monde:

„Der Gesamteffekt der geplanten Reform besteht darin, die grundlegenden Merkmale der Gewaltenteilung zu beseitigen. Sie schafft einige gerichtliche und gesetzliche Kontrollen ab, die verhindern sollen, dass eine Legislative, selbst wenn sie demokratisch gewählt wurde, eine 'Tyrannei der Mehrheit' errichtet. Sie erlaubt es der Regierung, Maßnahmen einer zwangsläufig geschwächten gerichtlichen Kontrolle zu unterbreiten. Sie [die Regierung], die auf Polizei, Fiskus und alle anderen Verwaltungsbehörden zurückgreift. Das Ganze ist eine sichere Niederlage für die Demokratie. Die Garantie von Grund- und Minderheitenrechten ist besonders gefährdet.“

Der Standard (AT) /

Zivilgesellschaft braucht Hilfe

Trotz ihrer Vergangenheit ist es für Wien und Berlin geboten, die Demokraten in Israel zu unterstützen, fordert Der Standard:

„Die Zivilgesellschaft wird es ... alleine nicht schaffen, den Machtwillen der ultrarechten Regierung zu kontrastieren. Sie braucht dafür den Rückhalt von außen. Deutschland und Österreich warten noch ab. ... Es ist problematisch, wenn Länder, wo einst Naziregimes an der Macht waren, Israel erklären wollen, wie sie Demokratie zu leben haben. Langsam müssen sich Wien und Berlin aber fragen, ob es denn reicht, Israels unbedingtes Existenzrecht zu bekräftigen, wenn zugleich jene Kräfte, die in Israel heute regieren, diese Existenz zu gefährden drohen. Wer Israel wirklich unterstützen will, muss das demokratische Lager stärken.“