Misstrauensvotum gescheitert, von der Leyen gestützt?

Der durch Abgeordnete von Rechtsaußen-Parteien eingebrachte Misstrauensantrag gegen EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ist gescheitert. Im Europaparlament stimmten nur 175 Abgeordnete für die Initiative – doch mehr als doppelt so viele dagegen. Zur Annahme des Antrags hätten ihn zwei Drittel der Anwesenden unterstützen müssen. Europas Medien ziehen unterschiedliche Schlüsse aus dem Ausgang des Votums.

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Večer (SI) /

Vorwürfe vergleichsweise belanglos

Die Antragsteller haben nicht die wesentlichen Themen vorgebracht, meint Večer:

„Ursula von der Leyen kann man vieles vorwerfen: schlechtes Management, die schlechte Lage der Landwirte, die Unfähigkeit, mit Trump zu verhandeln, Militarismus, Unterstützung für Israel, Demagogie in Bezug auf die Ukraine. … Doch die Populisten haben sich an das Nächstliegende geklammert. Warum sie inhaltlich zerstören, wenn es am einfachsten ist, sich auf Covid zu stützen? Natürlich sind auch hier, insbesondere in Bezug auf die Pfizergate-Affäre, die Dinge unklar, und die Kommissionspräsidentin ist verpflichtet, sie zu erklären. Aber wenn sie sie wirklich stürzen wollen, müssen sie bessere Gründe anführen.“

Kurier (AT) /

Kommissionschefin geht gestärkt hervor

Das Misstrauensvotum hat von der Leyen zum Vorteil gereicht, meint der Kurier:

„Der Theaterdonner ist also recht schnell verhallt. Ein Misstrauensantrag gegen Ursula von der Leyen ist gescheitert und hat obendrein der EU-Kommissionschefin die Möglichkeit gegeben, ihre Macht abzusichern. Genau daran hat die Deutsche seit ihrer Wiederwahl konsequent gearbeitet. Nicht nur in der EU-Kommission laufen alle politischen Fäden bei ihr zusammen, auch im EU-Parlament gibt ihre EVP als stärkste Fraktion mehr denn je die Richtung vor.“

Lidové noviny (CZ) /

Zukunft ungewiss

Lidové noviny sieht wenig Grund zur Erleichterung:

„Die künftige Politik der Europäischen Kommission wird nach dieser Abstimmung wohl sehr widersprüchlich, nach dem Motto hü und hott verlaufen. Sowohl in Bezug auf den Haushalt als auch auf den Umweltschutz und die Bemühungen zur Beendigung der Treibhausgasemissionen. Der Versuch, es allen recht zu machen, wird zu Veränderungen führen, die weiteren Widerstand provozieren könnten. Gleichzeitig ist es nicht möglich, das Pendel in eine Richtung auszuschlagen und eine große linke oder rechte Mehrheit im Europäischen Parlament zu schaffen. Die Wahlen sind nun mal so ausgegangen, wie sie ausgegangen sind. Die Zukunft der Europäischen Kommission ist daher weiterhin ungewiss.“

taz, die tageszeitung (DE) /

Keine Sternstunde der Demokratie

In Ordnung ist nun für die taz noch gar nichts:

„Das Problem, nämlich Ursula von der Leyen, ist immer noch da. Die CDU-Politikerin, die die EU-Kommission selbstherrlich wie eine Königin führt, hat bisher kein einziges ihrer Wahlversprechen erfüllt. Frieden in der Ukraine, grünes Wachstum, ein fairer Deal mit Donald Trump? Fehlanzeige. Doch statt daraus endlich Konsequenzen zu ziehen und konfrontativ mit dieser rechtsoffenen und außer Kontrolle geratenen EU-Kommission umzugehen, haben sich die Parteien links der Mitte wieder einmal einwickeln lassen. ... Das Parlament hat eine große Chance verpasst, sich Respekt zu verschaffen. Dies war keine Sternstunde der europäischen Demokratie, sondern ein weiterer Beweis dafür, wie schwach sie ist.“

La Repubblica (IT) /

Fratelli d´Italia versuchen den Spagat

La Repubblica analysiert unter anderem die Stimmenthaltung von Italiens Regierungspartei, die Mitglied der EKR-Fraktion ist, aus welcher der Antrag ursprünglich kam:

„Ursula von der Leyen ist schwächer geworden, ebenso wie die konservativ-sozialistisch-liberale Mehrheit, die sie bisher unterstützt hat. Zudem erleidet die Achse EVP–EKR einen schweren Schlag, da die EKR vertikal gespalten ist und Fratelli d'Italia nicht wie angekündigt gegen den Misstrauensantrag stimmte, sondern sich genötigt sah, sich in die Stimmenthaltung zu retten. Am Ende wurde der Antrag gegen die Kommissionspräsidentin mit 360 Nein-Stimmen, 175 Ja-Stimmen und 18 Enthaltungen abgelehnt. Aber im Straßburger Plenarsaal hinterließ er eine Spur der Verwüstung.“