Was bringt ein Wiederaufbau-Gipfel mitten im Krieg?
Kurz nachdem die Ukraine die heftigsten Raketenangriffe seit Beginn der russischen Großinvasion 2022 erlebte, findet in Rom die jährliche Ukraine-Wiederaufbaukonferenz statt. Die EU warb für einen Wiederaufbaufonds zugunsten kritischer Sektoren, ergänzt durch private Investitionen. Präsident Selenskyj forderte Hilfe bei Drohnenproduktion, Energieversorgung und Luftabwehr sowie die Freigabe russischer Gelder für den Wiederaufbau.
Schluss mit den Euphemismen!
Olena Trehub, Expertin für Verteidigungspolitik, plädiert auf Facebook für eine passendere Wortwahl:
„Schon das vierte Jahr in Folge findet die Konferenz zum Wiederaufbau der Ukraine mitten in einer heißen Phase des Krieges statt. Und zum vierten Mal kann ich dieses Framing nicht nachvollziehen. Versteht mich nicht falsch: Ich bin keineswegs gegen die Unterstützung der Ukraine in zivilen Bereichen – ganz im Gegenteil. Die Ukraine sollte nicht nur Waffen, sondern auch Makrofinanzhilfe sowie Mittel für Infrastruktur, Gemeinden, Zivilgesellschaft und Bildung erhalten. Aber das Ganze als 'Wiederaufbau' zu bezeichnen, während unsere Städte in Flammen stehen und unsere Menschen sterben, ist mindestens realitätsfern. … Vielleicht sollte man besser von 'Resilienz im Krieg' oder von 'ziviler Unterstützung für ein Land im Krieg' sprechen.“
Ablenkung von den drängenden Problemen
Für die Frankfurter Rundschau wirkt es so, als ob der zweite Schritt vor dem ersten gemacht werden soll:
„Denn für Kiew sind Waffen von den westlichen Verbündeten wichtiger als Versprechen für die Zukunft. ... Der ukrainischen Armee fehlt es an allem. Hinzu kommt, dass Putin alles unternimmt, um sein imperiales Ziel eines Großrusslands mit militärischen Mitteln zu erreichen. Es ist also völlig unklar, wann der Krieg endet und unter welchen Bedingungen. Wie groß wird dann die Ukraine noch sein? An welchen Orten ist der Aufbau dann sinnvoll und wo kann er warten? Oder siegt Putin am Ende und alle westlichen Pläne für die Zukunft der Ukraine sind wertlos? So gesehen wirkt das Treffen in Rom, als ob die Europäer von den drängenden Problemen Kiews ablenken wollen.“
Keine sinnlose Veranstaltung
Der Gipfel setzt ein Zeichen, laut Corriere della Sera:
„Es mag sinnlos erscheinen, über Wiederaufbau zu sprechen, während das Land brutal bombardiert wird. ... Man könnte die Konferenz daher als eine irrelevante Veranstaltung abtun, die keine Spuren hinterlassen wird. Aber das wäre ein Fehler, denn die Alternative wäre, sich zurückzulehnen und darauf zu warten, dass der wankelmütige Trump und der zynische Putin den Krieg irgendwie beenden und über das Schicksal dieses Staates und seines Volkes entscheiden. In Rom hingegen wird der Aufbau einer politischen, wirtschaftlichen und militärischen Alternative fortgesetzt, die die Souveränität der Ukraine wirklich garantieren und Europa endlich eine proaktive Rolle geben kann. Illusionen? Wir werden sehen.“