Kreta: Familienfehde eskaliert zu Feuergefecht

Am Samstag ist auf der griechischen Insel Kreta eine langanhaltende Fehde zwischen zwei Familien eskaliert: In dem Bergdorf Vorizia schossen rivalisierende Familien mit Pistolen und einer Kalaschnikow aufeinander. Zwei Menschen starben, vier wurden verletzt. Die Polizei befürchtet nun neue Blutrache. Drei Brüder werden wegen der tödlichen Auseinandersetzung in den Bergen gesucht.

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Nea Kriti (GR) /

Gewalt als Alltagsphänomen

Es ist fatal, wenn sich weitverbreiteter Waffenbesitz mit archaischen Wertvorstellungen überlagert, schreibt die Regionalzeitung Nea Kriti:

„Waffenbesitz ist auf der Insel kein Einzelfall, sondern tief in der lokalen Gesellschaft verwurzelt. Eine Gesellschaft, in der einige Gewalt als unvermeidlichen Teil des Alltags akzeptieren. Hinter jeder Schießerei und jeder bewaffneten Auseinandersetzung verbirgt sich ein seit langem bestehendes Problem, das Werte, Bildung und Verantwortung betrifft. Die 'Ehre', ein tief im Volksbewusstsein verwurzelter Begriff, führt oft zu Handlungen, die Meinungsverschiedenheiten in Tragödien verwandeln. Und jedes Mal, wenn eine Waffe erhoben wird, leidet eine Familie, wird eine Gesellschaft verletzt und ein Kind lernt das Falsche über Männlichkeit.“

Protagon.gr (GR) /

Moralisch im 19. Jahrhundert hängengeblieben

Das Webportal Protagon projiziert das Geschehen auf ganz Griechenland:

„Kreta wird gern als exotische Trauminsel präsentiert, aber abseits der Küsten im Inselinnern ist die Idee des Gesetzes verrottet. Niemand will sich wirklich mit den 'stolzen Kretern' anlegen. Und so tränkt Blut weiterhin den Boden, werden Kinder nach Verstorbenen benannt und Leben für 'Ehren' geopfert, bei denen schon vergessen ist, wem sie gelten. Das Kreta des iPhones und der Kalaschnikow ist kein exotisches Ausnahme-Paradoxon. Es ist ganz Griechenland, entkleidet von seiner Hülle. Ein Land, das die Maske des 21. Jahrhunderts trägt, aber tickt, als würde es noch im 19. Jahrhundert leben.“

Naftemporiki (GR) /

Wenn die Ehre zum Fluch wird

Für Naftemporiki ist eine überbewertete Familienehre ein gesellschaftliches Übel:

„Von Kreta bis Südasien verfolgt der Fluch der Ehre ganze Gesellschaften. Diese Realität, die in patriarchalischen Stereotypen verwurzelt ist, fesselt Menschen – vor allem Männer – in Teufelskreisen, aus denen sie nur schwer entkommen können. Wie unsichtbare Ketten, die mit jeder Generation enger werden, diktiert toxische Männlichkeit, dass ein 'echter Mann' hart, dominant und bereit sein muss, seine 'Ehre' mit Blut zu verteidigen. Und obwohl solche Vorstellungen archaisch erscheinen mögen, verfolgen sie noch immer moderne Gesellschaften und führen zu Tragödien wie der in Vorizia, wo die Gewalt sich wie ein Fluch zu wiederholen scheint. Fehden, die mit Ehrenkodizes verbunden sind, führen zu Bewaffnung, unter anderem aus Angst vor gesellschaftlicher Ächtung.“