Niederlande-Wahl: Mit Jetten zurück in die Mitte?
Bei der niederländischen Parlamentswahl haben die linksliberale D66 von Rob Jetten und die PVV des Rechtspopulisten Geert Wilders nahezu gleich viele Stimmen erhalten, mit einem knappen Vorsprung für Jetten. Der 38-Jährige, dessen Partei die Zahl ihrer Sitze verdreifachen konnte, gilt als klarer Gewinner und künftiger Regierungschef. Die Presse schaut auf den Wahlsieger und sieht Lehren für Europa.
Hier spricht die neue Generation
Ewropeiska Prawda sieht einen neuen Politiker-Typus:
„Der 38-jährige Rob Jetten ist ein Politiker der neuen Generation, den man bereits als den 'neuen Rutte' bezeichnet – nicht nur wegen seiner politischen Flexibilität, sondern auch wegen seiner Fähigkeit, in einer zersplitterten politischen Landschaft den Dialog zu führen. Sein Stil ist ruhig und vermittelnd, zugleich aber geprägt von einer klaren europäischen Vision. Wie der ehemalige langjährige Premier (und heutige Nato-Generalsekretär) strebt Jetten nach Stabilität und Koalitionskonsens und meidet radikale Entscheidungen ebenso wie scharfe Töne. Dennoch repräsentiert er eine neue Generation – jung, stärker europäisch orientiert und reformfreudig. Im Gegensatz zum pragmatischen, oft vorsichtigen Rutte spricht Jetten die Sprache von Ambition und Modernisierung.“
Auf Konsens ausgerichteter Pragmatiker
Der Standard charakterisiert:
„Jetten ... will auf Konsens, auf Aufbruch setzen, auf pragmatische Politik, wie sie in den Niederlanden eine lange Tradition hat, ebenso wie die Fähigkeit zum Kompromiss in einer sehr vielfältigen Parteienlandschaft. Er ist für geordnete Migrationspolitik, aber strikt gegen jede Ausländerfeindlichkeit, für ein offenes, tolerantes Europa: das Gegenstück zu Wilders. Nicht zufällig wird Jetten gerne mit dem jungen Mark Rutte verglichen, der es mit Sachlichkeit und der Fähigkeit, widerstreitende Parteien zusammenzubringen, auf fast zwölf Jahre an der Regierungsspitze gebracht hatte.“
Ein Hoffnungssignal
Público sieht das liberale Europa aufatmen:
„So knapp es auch war, der Sieg der sozialliberalen Partei von Rob Jetten war wie Balsam für ein Europa, das sich viel zu schnell an die Siege der extremen Rechten gewöhnt. ... Jetten steht eine gigantische Aufgabe bevor. Nach langen Jahren der Stabilität hat die Fragmentierung der Parteien in kürzester Zeit die politische Landschaft umgekrempelt. Die Bildung einer Koalitionsregierung wird Zeit brauchen und Kompromisse erfordern.“
Politische Lähmung durchbrechen
NRC analysiert:
„Nach einem gescheiterten Experiment mit der rechtsradikalen PVV in der Regierung geben die Wähler der politischen Mitte doch wieder eine Chance. ... Mit zwei [Koalitions-]Varianten auf dem Tisch und möglichen Meinungsverschiedenheiten darüber zwischen den Parteien kann die Regierungsbildung doch wieder komplizierter werden als zuvor erhofft. ... Es wird die erste große Aufgabe für D66-Chef Jetten sein, zu zeigen, dass er aus einer erneuerten und gestärkten Mitte heraus die politische Lähmung durchbrechen kann.“
Optimistisch und ambitioniert
De Morgen erklärt Jettens Erfolgsstrategie:
„Der Spitzenkandidat der sozialliberalen Partei D66 erwies sich während des Wahlkampfs als guter Redner. Mit einer großen Portion Optimismus setzte er sich gegen das pessimistische Weltbild des radikal-rechten PVV-Führers Geert Wilders durch. Jetten bekundete entschlossen seine Ambition, Wilders zu schlagen. So posierte er bei Wahlkampfreden deutlich vor einer großen niederländischen Flagge, die er 'zurückerobern' wolle. Neben Ton und Stil steuerte Jetten auch den inhaltlichen Kurs seiner Partei erfolgreich. ... Er positionierte sich strategisch in der Mitte und richtete sich damit auch an Wähler der Mitte-Rechts-Parteien.“
Wähler erwarten konkrete Lösungen
SRF-EU-Korrespondent Charles Liebherr analysiert:
„Das politische Chaos der letzten zwei Jahre hinterlässt Spuren: Die Mehrheit der Wählerinnen und Wähler erwartet nun endlich konkrete Lösungsvorschläge, wie gegen die anhaltende Wohnungsnot vorgegangen wird, wie die Arbeitsmigration ... gedrosselt werden kann, wie die Landwirtschaft ökologischer ausgerichtet werden kann. Genug haben die Wählenden von Lösungsvorschlägen, die gegen den Rechtsstaat verstossen und von Lösungsvorschlägen, die nicht umsetzbar sind. Darum stellen die Wählenden den Rechtspopulisten Wilders ins politische Offside. Zumindest vorübergehend.“
Durchmarsch der Rechten kein Naturgesetz
Das Handelsblatt begrüßt das Ergebnis:
„Die Wahl zeigt, dass der scheinbar unaufhaltsame Erfolg der rechtspopulistischen Parteien in Europa kein Naturgesetz ist. Im Gegenteil ... . [E]s ist maßgeblich der Erfolg von Jetten und – zu einem kleineren Teil – auch der des Christdemokraten Henri Bontenbal, dass Wilders so stark verlor. Sie zeigen, dass eine Kombination aus klarer, anti-populistischer Rhetorik und einer restriktiveren Migrationspolitik gegen Rechtspopulisten Erfolge bringen kann.“
Wilders bleibt eine feste Größe
Polityka zieht eine zwiespältige Lehre:
„Einerseits zeigen die Niederlande, dass sich populistische Rechtsparteien [in der Regierung] verbrauchen und die Wähler enttäuschen können. Andererseits hat Wilders trotz allem [mindestens] den zweiten Platz belegt. Es lohnt sich also, auf die Schlussfolgerung zurückzukommen, die der niederländische Politologe Cas Mudde gezogen hat: Wirtschaftliche Inkompetenz und Misserfolge bei der Umsetzung des Programms müssen nicht unbedingt dazu führen, dass die Wähler einer Partei an der Wahlurne die rote Karte zeigen. In Zeiten einer rein performativen Politik, die sich auf Narrative beschränkt und keine Visionen bietet, die über einzelne Amtszeiten hinausgehen, fängt bei jeder Wahl alles wieder von vorne an.“