Schafft Nahles den Neuanfang für die SPD?

Mit einem mäßigen Ergebnis ist Andrea Nahles am Sonntag an die Spitze der SPD gewählt worden. Die Delegierten des Sonderparteitags in Wiesbaden kürten die 47-Jährige mit 66 Prozent zur ersten Vorsitzenden in der 155-jährigen SPD-Geschichte. Kommentatoren sind insgesamt skeptisch, dass sie die SPD aus ihrer existenziellen Krise holen kann.

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Welt (DE) /

SPD muss sagen, was sie will

Dass Nahles so schlecht abgeschnitten hat, könnte auch daran liegen, dass sich so manch ein Kritiker der Neuauflage der GroKo seit dem Amtsantritt der Regierung bestätigt sieht, vermutet die Tageszeitung Die Welt:

„Wieder neigt die SPD dazu, sich auf 'gutes' und 'solides' Regieren zu beschränken. Ausgerechnet Finanzminister Olaf Scholz hat bisher wenig Gestaltungswillen an den Tag gelegt. Wollte die SPD nicht europapolitisch einen neuen Kurs fahren? Vielleicht mag sie dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron doch noch auf seine Reformrede vom September antworten - vielleicht sogar, bevor sich Macrons Auftritt an der Sorbonne jährt. ... Vor Nahles steht jetzt eine Mammutaufgabe: Sie muss die Sozialdemokratie erneuern, vor allem aber das verlorene Vertrauen wieder zurückgewinnen. … Ob bei Integration, innerer Sicherheit oder Europa: Die SPD muss endlich wieder sagen, was sie will.“

Corriere della Sera (IT) /

Nahles, die Trümmerfrau

Die neue Vorsitzende übernimmt die Führung der SPD auf deren absolutem Tiefpunkt, analysiert Corriere della Sera:

„Der außerordentliche Parteitag von Wiesbaden bestätigt die Unsicherheit und die Existenzangst der SPD, die in der Gunst der Bürger auf ihrem historischen Tiefpunkt gelandet ist. Die Partei steht verloren im dichten Nebel. Nahles soll ihn lichten, indem sie eine klare Linie vorgibt. … Nun, da sie gerufen ist, die SPD zu retten, hat sich Nahles ihren Beinamen verdient. Die Trümmerfrau. … Wie einst die Frauen nach dem Zweiten Weltkrieg die deutschen Städte von Schutt und Asche befreiten und den Weg für den Wiederaufbau ebneten, wird sie, die Tochter eines Maurers aus der Pfalz, versuchen, die älteste deutsche Partei auf ihren Trümmern wieder aufzubauen.“

Naftemporiki (GR) /

Neue Köpfe reichen nicht

Das Wirtschaftsblatt Naftemporiki ist skeptisch, dass der SPD nun der Neuanfang gelingt:

„Die SPD befindet sich, wie andere ähnliche Parteien in Europa, in einer lang anhaltenden Krise, in der sie nicht in der Lage war, eine klare politische Alternative zu den Konservativen zu formulieren. … Das Versagen der sozialdemokratischen Parteien, eine überzeugende Alternative anzubieten, begann lange vor der Krise von 2008, und zwar als sie seit Mitte der neunziger Jahre die Agenda ihrer politischen Gegner übernommen und umgesetzt hatten. Junge Politiker - und sogar Frauen - in Führungspositionen alleine reichen nicht aus, um die sogenannten Mitte-Links-Parteien aus der tiefen politischen und existenziellen Krise zu ziehen.“

De Standaard (BE) /

Merkel bekommt Widerstand von links

Dass Andrea Nahles eine ernsthafte Konkurrentin für Bundeskanzlerin Angela Merkel wird, glaubt De Standaard:

„Merkel bekommt nun eine SPD-Vorsitzende und Fraktionsführerin hinzu, die alles tun wird, um der Partei ein deutlicheres Profil zu geben. Nahles hat Merkel bereits gewarnt, dass sie eine 'unbequeme Partnerin' sein wird. ... Es sieht auch danach aus, dass die neue SPD-Vorsitzende sich weit über die Grenzen des Koalitionsabkommens hinaus wagen wird, um das Profil ihrer Partei zu schärfen. Außerdem darf man nicht vergessen, dass Nahles im Vergleich zu Merkel noch ziemlich jung ist. Mit ihren 47 Jahren hat sie noch eine lange Laufbahn vor sich. Sie kann die nächsten Jahre nutzen, um an ihrer Präsenz zu arbeiten und der Bevölkerung zu beweisen, dass ihre Partei in der politischen Arena sehr wohl ein Gewicht ist.“