Kosovos Präsident wegen Kriegsverbrechen angeklagt

Gegen den kosovarischen Präsidenten Hashim Thaçi ist vor dem Sondergericht für das Kosovo in Den Haag Anklage erhoben worden. Dem früheren Kommandeur der Befreiungsarmee des Kosovo UÇK und neun weiteren ehemaligen Separatisten werden Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit vorgeworfen, die sie während des Unabhängigkeitskriegs der damaligen serbischen Provinz 1998/1999 verübt haben sollen.

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Der Standard (AT) /

Thaçi hat die Kosovaren schon lange verraten

Thaçis höchstes Ziel ist, sich nicht für seine Vergangenheit verantworten zu müssen, kommentiert Balkan-Korrespondentin Adelheid Wölfl im Standard:

„Die Reaktion des Präsidenten war trotzig und plump. Nachdem die Staatsanwaltschaft eine umfassende Anklage wegen Kriegsverbrechen gegen den kosovarischen Staatschef Hashim Thaçi am Mittwoch veröffentlicht hatte, postete dieser auf Facebook das Emblem der Kosovo-Befreiungsarmee UÇK. Zwar muss ein Richter die Anklage erst bestätigen, dennoch wäre Thaçis sofortiger Rücktritt vom Präsidentenamt angemessen gewesen. Der ehemalige UÇK-Kommandant hält sein Land wegen seiner Kriegsvergangenheit seit langem in Geiselhaft. Um nicht vor Gericht zu kommen, ist er sogar bereit, den Nordkosovo - ein verfassungswidriger Schritt - an Serbien abzugeben und damit die Idee eines multinationalen Staates aufzugeben. Thaçi hat die Kosovaren schon lange verraten.“

Il Manifesto (IT) /

Komplizen in der Nato

Mit einem Prozess gegen Thaçi ist es nicht getan, prangert Il Manifesto an:

„Nach 20 Jahren kommt die monströse Wahrheit endlich ans Licht. Es besteht jedoch die Gefahr, dass es bei einer halben, nutzlosen Wahrheit bleibt, wenn die Rolle dieses Verbrechers des Balkans nicht gänzlich geklärt wird. … Hashim Thaçi war von Ende 1998 - nur wenige Monate zuvor hatte der US-Kongress die UÇK als 'terroristisch' eingestuft - bis 1999 und in den kommenden Jahren der privilegierte Gesprächspartner des Atlantischen Bündnisses. Die Frage lautet an dieser Stelle: Haben die westlichen Führungskräfte, die für jenen 'humanitären' Krieg waren, der den Schlächter Thaçi als Staatsmann akkreditierte, jetzt, da sie sich in Wirklichkeit als Komplizen seiner Verbrechen entpuppen, wirklich nichts zu sagen oder zu tun? Wollen sie ihre Leichen im Keller versteckt halten?“

Neue Zürcher Zeitung (CH) /

Wie frei von Einflüssen ist das Gericht?

Wie unabhängig das Sondergericht ist, fragt sich die Neue Zürcher Zeitung:

„Thacis Kampf gegen die Justiz erklärt wahrscheinlich den absichtsvoll gewählten Zeitpunkt der Bekanntgabe der Anklage. Indem die Richter seine Reise nach Washington torpedierten, verhinderten sie, dass Thaci sich dort Straffreiheit einhandeln konnte. Das Kosovo-Sondergericht ist zwar eine Institution nach kosovarischem Recht. Es wird aber von ausländischen Richtern geführt, von der EU finanziert und sitzt in Den Haag. Damit soll es vor einheimischen Pressionen sicher sein. Ob es ebenso unabhängig ist gegenüber den Einflüssen der europäischen Mächte, ist eine andere Frage.“