Suizid von Journalistin: Trägt Moskau Mitschuld?

In Nischni Nowgorod hat sich Irina Slawina, Chefredakteurin der unabhängigen Internetzeitung Koza.Press, vor dem Polizeihauptquartier verbrannt. Zuvor war sämtliche Redaktionstechnik des bereits mehrfach sanktionierten Mediums beschlagnahmt worden. Slawina hinterließ die Botschaft, der russische Staat sei für ihren Tod verantwortlich. Da ist durchaus etwas dran, finden Kommentatoren.

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newsru.com (RU) /

Das Volk lässt alles mit sich geschehen

Der Publizist Andrej Nikulin beklagt in einem von newsru.com übernommenen Facebook-Post die Apathie, mit der das russische Volk die Willkür seiner Staatsorgane hinnimmt:

„Die hundert Leute, die auf die Straße gingen, um von Irina Abschied zu nehmen, sind in einer Millionenstadt nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Die Menschen, für die sie sich kämpferisch schreibend einsetzte, werden nicht einmal erfahren, was geschehen ist. Sie leben in ihrer eigenen Welt. ... In diesem Jahr hat es einen Bruch gegeben: Weder der Mordversuch an Nawalny, noch die absurde Abstimmungskampagne über die Änderung der Verfassung, noch die Patzer des Staates im Kampf gegen das Virus haben nennenswerte Reaktionen hervorgerufen. Die Gesellschaft ist in Apathie versunken und kapselt sich ab - sehr zur Freude der Kreml-Besatzung. Die kann machen, was sie will - und tut das auch.“

Echo Moskwy (RU) /

Staatliche Schikane darf keine Normalität sein

Der russische Staat missbraucht sein Gewaltmonopol, klagt der Wirtschaftsprofessor Maxim Mironow auf Echo Moskwy:

„Slawina war nur ZEUGIN in einem Verfahren, aber um 6 Uhr morgens kam man zur Hausdurchsuchung, begann die Tür aufzusägen und trug dann alle Technik und Notizblöcke hinaus, obwohl man nicht einen einzigen Gegenstand mit einem Bezug zu jenem Fall fand. ... Wir haben uns alle schon an solche grundlosen Durchsuchungen im Morgengrauen samt der Beschlagnahmung von einfach allem gewöhnt. ... Das geschieht ständig, ja täglich. ... Slawina hat mit ihrem Schritt gezeigt, dass diese Normalität, an die wir uns gewöhnt haben, nicht normal ist. Der Staat hat ein Recht auf Gewaltanwendung, aber er darf es nicht zu Unrecht anwenden.“