Streit um Holocaust: Der Finger in Litauens Wunde

Erneut erhitzt in Litauen eine Debatte zur Erinnerungskultur die Gemüter: Valdas Rakutis, konservativer Abgeordneter und Militärhistoriker, hat am Holocaust-Gedenktag einen Kommentar veröffentlicht, in dem er Juden teilweise selbst für den Holocaust verantwortlich macht. Es hätte beispielsweise interne Täter in den Ghettos gegeben. Anschließendes Abwiegeln des Autors konnte eine Welle der Empörung nicht verhindern.

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Lietuvos rytas (LT) /

Ein leider sehr hochrangiger Debütant

Litauen trägt von der Affäre großen Schaden davon, erklärt Lietuvos rytas:

„Was unseren Politikern nicht fehlt ist das Talent, dem Staat und sich selbst ins eigene Fleisch zu schneiden. Besonders erfolgreich darin sind die Debütanten, wie der erstmals ins Parlament gewählte konservative Valdas Rakutis. ... Nach einigen Tagen der Ausreden, dass er falsch verstanden wurde, legte er seinen Posten doch nieder. ... Es ist aber sehr zu bezweifeln, dass die Spannungen damit verschwinden. Rakutis ist nicht irgendjemand. Er ist ein von den rechten Wählern hochrespektierter Professor für Militärgeschichte, ehemaliger Prorektor der Militärakademie, Berater des Oberbefehlshabers der Streitkräfte, Mitarbeiter der Abteilung für strategische Kommunikation im Militär und einer der beliebtesten Experten im Informationskrieg mit Russland.“

Delfi (LT) /

So können Traumata nicht heilen

Erneut in den Fokus der Kritik gerückt ist in der Debatte auch das staatliche Forschungszentrum für Genozid und Widerstand. Dessen Arbeit ist schon seit Jahren politisiert, kritisiert Publizist Arkadijus Vinokuras in Delfi:

„Es ist eine Tatsache, dass nicht nur die Leitung des Forschungszentrums die Verfassung missachtet hat, sondern auch die Parteien und Abgeordneten, die diese machtmissbrauchende Leitung unterstützten. Und sogar objektive Forschung dafür opferten. Den nationalen Diskurs zur Erinnerungskultur prägen längst die Rechtsradikalen. Die Proteste der Mitarbeiter selbst gegen das Genozid-Forschungszentrum öffnen eine eiternde Wunde. Sie bestätigen, dass Politisierung und Ideologisierung nicht nur die Arbeit der Wissenschaftler lähmen, sondern auch die Heilung der Traumata der alten Generation behindern sowie den Umgang der Jugend mit den Taten ihrer Eltern und Großeltern.“