Nato-Beitritt: Neuer Unmut über Schweden in Ankara

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan hat eine Protestaktion des Rechtsextremisten Rasmus Paludan mit Koranverbrennung vor der türkischen Botschaft in Stockholm zum Anlass genommen, den Nato-Beitritt Schwedens erneut infrage zu stellen. Der finnische Außenminister Pekka Haavisto deutete an, dass Helsinki notfalls auch vor Schweden beitreten könnte. Europas Presse sieht verschiedene Risiken.

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Lapin Kansa (FI) /

Notfalls alleine weiterreisen

Finnland muss den militärischen Schutz zur Not über die Solidarität mit Schweden stellen, rät Lapin Kansa:

„Obwohl sich Finnland und Schweden, zumindest dem offiziellen Mantra zufolge, Seite an Seite auf die Nato zubewegt haben, haben sich die finnischen Politiker zweifellos bereits auf die Option vorbereitet, ihren Reisebegleiter zurückzulassen. Diese Möglichkeit ist nun wahrscheinlicher denn je. Sollte die Türkei ja zu Finnland und nein zu Schweden sagen, ist die Entscheidung klar. Finnland braucht den militärischen Schutz, den Artikel 5 des Verteidigungsbündnisses bietet, mehr als Schweden.“

Expressen (SE) /

Geht schon mal vor, liebe Finnen, wir streiten noch

Sollte Finnland die Geduld mit dem schwedischen Nachbarn verlieren, wäre das verständlich, meint Expressen:

„Für finnische Politiker mit ihren historischen Erfahrungen und der langen Grenze zu Russland muss das frivole Gezänk in Schweden surreal erscheinen. Das Beste wäre natürlich, wenn sowohl Finnland als auch Schweden schnell in die Nato aufgenommen werden könnten. Aber wenn das nicht möglich ist, haben wir kein Recht zu verlangen, dass die solidarischen Finnen im Vorzimmer warten, während wir streiten. Entschuldigung, Finnland, Sie können notfalls zuerst in die Nato gehen.“

De Volkskrant (NL) /

Nato darf sich nicht länger gängeln lassen

Die Nato sollte jetzt Entschlossenheit zeigen und den Druck auf Ankara erhöhen, mahnt De Volkskrant:

„Die westliche Zurückhaltung gegenüber der Türkei war lange verständlich. Aber jetzt könnte dieser Harmonie-Kurs echten Schaden anrichten. Die Türkei treibt - in Sachen Demokratie und Außenpolitik - immer weiter von ihren Nato-Verbündeten ab. Russland führt Krieg in Europa. Es ist höchste Zeit, dass sich die Verbündeten öffentlich klarer positionieren: für einen schnellen schwedischen und finnischen Beitritt und für den Erhalt der türkischen Demokratie.“

Svenska Dagbladet (SE) /

Jetzt nicht ungeduldig mit dem Stuhl kippeln

Wegen der innenpolitischen Situation in der Türkei sollte Schweden geduldig bleiben und den Streit nicht unnötig eskalieren lassen, rät Svenska Dagbladet:

„Vor den Wahlen in der Türkei im Mai kann und sollte die Regierung wohl nichts tun, als einen kühlen Kopf und das Ziel im Auge zu behalten. Erdoğan braucht den Konflikt, um seine Wähler zu mobilisieren, und kann unmöglich klein beigeben, bevor er weiß, ob und mit welchem Mandat er die Präsidentschaft behalten darf. Schweden sitzt stabil auf dem Nato-Stuhl, solange wir nicht selbst anfangen, darauf zu schaukeln.“

T24 (TR) /

Nicht auf Brandstifter hereinfallen

Das ist die falsche Reaktion auf diese Provokation, urteilt Journalistin Barçın Yinanç auf T24:

„Seit Schweden und Finnland angekündigt haben, dass sie für die Zustimmung zu ihrer Nato-Mitgliedschaft mit der Türkei zusammenarbeiten werden, brauchte man kein Prophet zu sein, um vorherzusagen, dass einige Gruppen in Schweden zu Provokationen greifen würden. ... Natürlich reagiert Ankara auf diese Aktionen. Man muss jedoch darauf achten, den Provokateuren keine Butter aufs Brot zu schmieren. ... Aber selbstredend hat seit Beginn des Wahlkampfes jeder Schritt, der in der Außenpolitik unternommen wird, mit Innenpolitik zu tun.“

Sabah (TR) /

Schweden ist selbst schuld

Wer solchen islamophoben Protest erlaubt und damit seinen Nato-Beitritt aufs Spiel setzt, muss sich nicht wundern, betont die regierungstreue Sabah:

„Zunächst hat der schwedische Staat dieses Hassverbrechen zugelassen. ... Diese Haltung, die nichts mit Freiheit und Demokratie zu tun hat, fördert die Islamfeindlichkeit, die die Mainstream-Politik in Europa in den letzten Jahren verändert hat. ... Ankara ist nicht gegen die Nato-Mitgliedschaft von Schweden und Finnland, es erwartet bloß, dass sie sich an die Abmachungen halten. Die Behauptungen, die Erdoğan-geführte Türkei behindere die Nato-Erweiterung, spiegeln nicht die Wahrheit wider. Sollte die Verzögerung der Nato-Erweiterung zu einer Schwächung führen, ist es Schweden, das Probleme schafft.“

Aftonbladet (SE) /

Peinlicher Zirkus

Aftonbladet fragt sich, wie lange der Westen dem Hin und Her noch zusehen will:

„Abgesehen von der Türkei und Ungarn sind alle Nato-Staaten liberale Demokratien. Sie müssen vernünftigerweise erkennen, dass die türkischen Forderungen nach größeren Einschränkungen der schwedischen Meinungsfreiheit unmöglich sind. Keiner von ihnen würde ähnliche Forderungen für sich selbst akzeptieren. Glauben die USA, Deutschland, Frankreich und Großbritannien wirklich, dass dieser peinliche Zirkus noch lange weitergehen darf?“

Jyllands-Posten (DK) /

Unverzichtbarer Klotz am Bein

Leider ist die Nato auf die Türkei angewiesen, bedauert Jyllands-Posten:

„Nur die strategisch wichtige Lage der Türkei am Rande des Nahost-Pulverfasses hindert die Nato daran, ein ernsthaftes Gespräch mit sich selbst darüber zu führen, ob die Türkei in die Wertegemeinschaft gehört, die auch die Nato darstellt. Der Gegentest ist ganz einfach: Würde die Türkei heute einen Nato-Beitritt beantragen, würde sie nicht aufgenommen. Es legt das enorme Problem offen, das die Türkei für die freie Welt darstellt, die an vielen Fronten in einen schicksalhaften Kampf gegen autoritäre Kräfte, insbesondere Russland und China, verwickelt ist. Der Westen sollte die Türkei aus seinem Kreis werfen und das Erdoğan-Regime kaltstellen. Aber er kann derzeit nicht auf die Türkei verzichten.“