Wie ist die Beisetzung Prigoschins zu verstehen?

Abschied im ganz kleinen Kreis: Während Russland noch debattierte, mit welchen Ehrenbezeugungen der einst als "Held Russlands" ausgezeichnete Wagner-Chef Jewgenij Prigoschin beigesetzt würde und ob Putin wohl selbst am Begräbnis teilnehme, wurde der beim rätselhaften Absturz seines Flugzeugsgetötete Söldner-Führer insgeheim auf einem kleinen Friedhof in St. Petersburg begraben. Europas Presse kommentiert.

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Stanislaw Kutscher (RU) /

Echte Helden werden anders verabschiedet

Die schlichte Beerdigung ist für Stanislaw Kutscher ein Beweis dafür, dass der Tod Prigoschins von Moskau angeordnet wurde, wie der Journalist auf Facebook schreibt:

„Sollte jemand Ihrer 'staatstreuen' Bekannten oder Verwandten (und fast jeder hat solche) Verschwörungstheorien über 'die Hand westlicher Geheimdienste' oder 'die ukrainische Spur' verbreiten, fragen Sie einfach: Würde ein vom Feind getöteter Held Russlands nicht einen großen Abschied unter Beteiligung des Staatsoberhaupts und Stars aus Politik, Propaganda und Kultur, mit Militäreskorte oder wenigstens einer Ehrengarde verdienen?“

The Spectator (GB) /

Die Russen sollen ihn schnell vergessen

Die Geheimnistuerei um die Beerdigung zeugt von großer Nervosität auf Seiten Putins, urteilt The Spectator:

„Nach dem abgebrochenen Staatsstreich des Wagner-Anführers im Juni hätten öffentliche Trauer oder jegliche Zeichen von Unterstützung als eine Anfechtung der Autorität des Präsidenten verstanden werden können. Zum Zeitpunkt seines Todes war Prigoschin immer noch beliebt und hatte unter bestimmten Russen eine treue Anhängerschaft. Zweifellos wollte der Kreml vermeiden, dass diese Gleichgesinnten Gelegenheit bekommen, sich zu versammeln. ... Prigoschins heimliche Beerdigung deutet darauf hin, dass die russischen Behörden und der Kreml es kaum erwarten können, ihn und die Ereignisse des Sommers aus dem Gedächtnis Russlands zu streichen.“

Aktuálně.cz (CZ) /

Wer liegt da wirklich unter Russlands Erde?

Aktuálně.cz hegt Zweifel, ob es Prigoschins Leichnam war, der da beigesetzt wurde:

„Die Geschichte ist offiziell zu Ende. Doch können wir das russische Amt für Flugunfalluntersuchungen und russische Experten ernst nehmen? Können wir glauben, dass ihre Erkenntnisse mit der Realität übereinstimmen, dass Prigoschin wirklich umgekommen ist? Das können wir nicht. Das Paradoxe ist, dass wir selbst bei etwas so Grundlegendem wie Prigoschins Tod keine hundertprozentige Gewissheit haben, weil wir keine Gewissheit über irgendetwas bekommen können, was das offizielle russische Regime behauptet. Unter anderem darin unterscheidet sich Russland grundlegend von demokratischen Systemen. De facto gibt es keine glaubwürdige Kontrolle.“

Echo (RU) /

Putins Rasputin

Politologe Wladimir Pastuchow vergleicht in einem von Echo übernommenen Telegram-Post Prigoschin mit einer anderen, 1916 brutal ermordeten Schlüsselfigur der russischen Geschichte:

„Wie Rasputin (und heutzutage übrigens auch Kadyrow) zersetzte er den regulären Staat im Minutentakt von innen heraus, verhöhnte ihn, brach mit allen bürokratischen Abläufen und quetschte gnadenlos jede freie Kopeke aus der Staatskasse in seine bodenlose Tasche. ... Der Tod von Prigoschin wird, wie der Tod von Rasputin, den Tod des Regimes einläuten. Leute wie Prigoschin haben Putins Galeere zwanzig Jahre lang über Wasser gehalten. Sie waren seine Ruderer, aber nun beginnt man sie über Bord zu werfen. Auf der Galeere wird es so wohl sauberer und geräumiger, aber ohne sie wird sie nicht mehr lange schwimmen.“