Schulstart in Europa: Wie steht es um die Bildung?

Für viele Schülerinnen und Schüler in Europa beginnt in diesen Tagen der Unterricht nach der Sommerpause. Für andere liegt der Start ins neue Schuljahr schon einige Wochen zurück. Für die Presse Anlass, die Bildungssysteme kritisch zu prüfen und strukturelle Mängel anzuprangern.

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The Sunday Times (GB) /

Heiße Luft und leere Versprechen

Wegen Einsturzgefahr wurden kurz vor Schulbeginn mehr als 100 englische Schulen von der Schulbehörde geschlossen. Die jahrelangen Kürzungen und mangelnden Investitionen rächen sich, schimpft The Sunday Times:

„Politiker neigen dazu, in Wahlzyklen von fünf Jahren zu denken, die zu kurz sind, als dass sich Investitionen in vermeintlich langweilige Infrastrukturen auszahlen würden. Sie bevorzugen effektreiche 'Großprojekte' wie den HS2 [Schnellzug-Bauprojekt] oder sie machen Versprechungen, die nichts als heiße Luft sind. ... Die Tories, die seit 13 Jahren an der Macht sind, haben hier schwere Schuld auf sich geladen. ... Es ist pures Glück, dass noch niemand zu Schaden gekommen ist. Das Zeitfenster zum Handeln wird bedrohlich eng.“

The Daily Telegraph (GB) /

Der Schaden ist viel größer als zunächst erkennbar

Covid, Lehrerstreiks und nun unsichere Schulgebäude – mal wieder sind die Kinder die Leidtragenden, klagt The Daily Telegraph:

„Diejenigen, die als unsicher geltende Schulen besuchen, werden im besten Fall Unterricht in Containern oder in benachbarten Schulen haben oder im schlimmsten Fall zum Online-Lernen im Lockdown-Stil zurückkehren müssen. Hunderte Schulen erfahren möglicherweise erst im Dezember, was die Untersuchung bei ihnen ergeben hat. ... Das Augenmerk wird natürlich auf den verlorenen Stunden im Unterricht liegen, aber wir dürfen auch die weniger sichtbaren Kosten nicht außer Acht lassen. Kinder werden Sportunterricht und Sozialisierung verpassen und in einigen traurigen Fällen wird ihnen ein Ort fehlen, der sie vor den Schwierigkeiten Zuhause beschützt.“

Krytyka Polityczna (PL) /

Polen braucht Umdenken bei Lehrergehältern

Justyna Drath, Lehrerin und Aktivistin der Lehrergewerkschaft ZNP, schlägt in Krytyka Polityczna Alarm:

„Die Lehrergehälter sinken immer weiter, obwohl uns der Minister versichert, dass es sich um einen finanziell äußerst lukrativen Beruf handelt und die etwa zwanzigtausend offenen Stellen als 'normale Personalbewegung' bezeichnet. ... Das Ausmaß der Manipulationen seitens der Regierung hat inzwischen die Grenze zum Grotesken überschritten, aber es ist mir immer noch ein Rätsel, warum die Lehrergehälter selbst in den Medien der Opposition ständig mit dem Mindestlohn und nicht mit dem Durchschnitt verglichen werden. ... Betrachten wir die Entwicklung der 1990er Jahre - also die Verschlechterung des Ansehens dieses Berufsstandes - einfach als eine starre, ewige und unveränderliche Sache?“

La Croix (FR) /

Langfristige Strategie entwickeln

Mehr Weitsicht in der französischen Bildungspolitik fordert La Croix:

„Um das Bildungssystem zu reformieren, muss die Lupe weggelegt und das Fernglas in die Hand genommen werden. Es sollte ein Aktionsplan aufgestellt werden, der unabhängig von persönlichen Ambitionen und, wenn möglich, sogar unabhängig vom Wahlzyklus ist und sich auf zwei oder drei Ziele konzentriert - zum Beispiel die Bezahlung und Ausbildung von Lehrern, die soziale Mischung und den Erwerb von Grundkenntnissen. Wir sollten ähnlich verfahren wie mit der Strategie zur Verminderung von Treibhausgasemissionen, die einen Pfad bis 2050 vorgibt und kurz- und mittelfristige Ziele festlegt.“

Gazeta Wyborcza (PL) /

Immer weniger Literatur und mehr Hass in Allrussland

In Russlands Schulen nimmt Kriegspropaganda eine immer größere Rolle ein, beobachtet Gazeta Wyborcza:

„Am 1. September hielt Putin vor laufender Kamera eine besondere Unterrichtsstunde - 'Sprechen über das Wichtige'. Mit einer solchen Rede müssen die Lehrer in ganz Russland nun jede Schulwoche beginnen. Und das Schuljahr wird traditionell vom Staatschef selbst eröffnet - in seiner Funktion als 'Lehrer Allrusslands'. ... Die Schule - im Gleichklang mit Politik und Propaganda - bereitet die Kinder effizient auf das Leben im Zeitalter des Krieges vor. Immer weniger Literatur, Geschichte, immer mehr Patriotismus, Unterricht mit automatischen Waffen und Granaten, immer mehr Hass auf alles Fremde.“