Lettland: Austritt aus der Istanbul-Konvention

Das Parlament in Riga hat den Austritt aus der Istanbul-Konvention beschlossen, die Länder zu einem besseren Schutz von Frauen und Mädchen verpflichtet. Kritiker der Konvention sehen traditionelle lettische Familienwerte durch Gender-Ideologien gefährdet. Lettland wäre damit das erste EU-Land, das aus der Konvention austritt. Gegen die Entscheidung protestierten am Mittwoch mehr als 5.000 Menschen vor dem Parlament.

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LA.LV (LV) /

An einem Reizwort scheiden sich die Geister

Journalist Kārlis Streips analysiert auf LA.LV den Knackpunkt der Istanbul-Konvention:

„Sowohl im Parlament als auch in der Gesellschaft wird behauptet, die Konvention sei gefährlich. Soweit ich das beurteilen kann, liegt das hauptsächlich daran, dass in der Istanbul-Konvention der Begriff soziales Geschlecht vorkommt. Daraus haben einige nicht besonders kluge Menschen die Annahme abgeleitet, die Konvention werde alle Kinder dazu bringen, sich einzubilden, sie wollten ihr Geschlecht ändern. Unsinn. ... Wenn man selbst sein Geschlecht ändern möchte, ist das ein souveränes Recht, aber man hat absolut kein Recht, jemand anderem das zu verbieten. .. Es ist kein Wunder, dass sich Politiker mit diesem Thema befassen. Die nächsten Parlamentswahlen finden in weniger als einem Jahr statt, und offenbar hat man beschlossen, damit Stimmen zu fangen.“

Neatkarīgā (LV) /

Ein trojanisches Pferd vom Hof gejagt

Kommentator Bens Latkovskis zeigt in Neatkarīgā Verständnis für den Beschluss:

„Wir müssen eine Tatsache anerkennen: Die Welt verändert sich, und das im Istanbul-Konzept verborgene ideologische 'Trojanische Pferd' ist einer der Gründe, warum sich so viele Menschen vom europäischen 'Licht' abwenden. ... Die Istanbul-Konvention hat die bestehende politische Landschaft gehörig aufgewühlt. Ob diese Aufregung zu bedeutenden Veränderungen der politischen Ordnung führen wird, lässt sich noch schwer abschätzen.“

TVNet (LV) /

Die Debatte um Werte ist nur vorgeschoben

TVNet-Chefredakteur Toms Ostrovskis erklärt den Beschluss mit politischen Kämpfen:

„Das Theaterstück der Parlamentsfraktionen um die Istanbul-Konvention dreht sich nicht um Werte, sondern ausschließlich um Macht. ... Die Ideologie der 'Familienwerte' dient hier lediglich als Nebelkerze, um politisches Handeln als 'Verteidigung von Werten' darzustellen. Dieses Machtspiel hat bereits seinen Preis: künstliche Spaltung der Gesellschaft, schwindendes Vertrauen in die Staatsführung, die Normalisierung von Angstmacherei als Ersatz für Diskussionen, Relativierung des Rechtsstaatsprinzips und einen Reputationsverlust bei den Verbündeten. Das Ergebnis ist kein 'Sieg der Werte', sondern ein Verfall der Qualität der Staatsführung.“