Direkter Draht: Putins jährliche Sprechstunde

Russlands Präsident Wladimir Putin hat in seiner jährlichen TV-Fragestunde 'Direkter Draht' stundenlang Fragen von Bürgern beantwortet. Neu war diesmal das Format: Es gab kein Studiopublikum mehr, stattdessen Direktschaltungen zu verantwortlichen Spitzenbeamten. Kommentatoren aus Russland und der Ukraine analysieren die Fragestunde.

Alle Zitate öffnen/schließen
Nowaja Gaseta (RU) /

Wähler werden zu TV-Zuschauern degradiert

Für den Journalisten Kirill Martynow von der Tageszeitung Nowaja Gazeta wurde die politische Teilhabe der Bürger weiter beschnitten:

„Diese virtuelle Demokratie würde modern aussehen, wenn es um ein Land ginge, wo regelmäßig freie Wahlen stattfinden und sich die Politiker an der Macht abwechseln. Doch die digitale Optimierung des Volkes im 17. Jahr des Direkten Drahtes erscheint mehr als Errichtung einer symbolischen Sperre. Bürger und Leitungsebene riskieren es nicht mehr, sich von Angesicht zu Angesicht zu treffen, sondern bevorzugen, als Avatare zu kommunizieren. Vor einem Jahr schrieb ich, der Direkte Draht sei das einzige noch funktionierende staatliche Institut. Das stimmt auch heute, doch jetzt hat man daraus ein überflüssiges Glied entfernt: den Wähler.“

Unian (UA) /

Ideen zur Zukunft der Ukraine sind blanker Hohn

Was Putin in seiner Sprechstunde zur Ukraine zu sagen hatte, resümiert der Russland-Korrespondent von Unian, Roman Zymbaljuk:

„Es stören ihn weder der Krieg mit Tausenden Toten, noch die Besatzung eines Landes mit Millionen ihres Heims beraubten Menschen. ... Denn allem Anschein nach interessiert ihn nicht besonders, ob man die von ihm angesprochene 'gemeinsame Zukunft' in der freien Ukraine will. Eigentlich hat er die Rolle der Ukrainer in dieser 'Zukunft' ebenfalls festgelegt und spricht offen darüber: Auf Kosten unseres Landes sind [über vereinfachte Einbürgerungen von Ukrainern] die demografischen Probleme Russlands zu lösen. Ob es für die Betroffenen komfortabel ist, diese demografischen 'Probleme' zu lösen, verrät die Frage, warum diese Leute aus dem vom 'ukrainischen Faschismus befreiten' Donbass weglaufen. Diese blieb ohne Antwort.“