"European Way of Life": Was ist die Botschaft?

Der designierte griechische Vizepräsident der EU-Kommission Margaritis Schinas soll die "europäische Lebensweise" schützen und als Chef seines Ressorts unter anderem auch für den Bereich Migration zuständig sein. Die Neuerung bietet auch Tage später noch viel Diskussionsstoff.

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Adevărul (RO) /

Anmaßender Alleinanspruch

Europapolitiker Victor Grigorescu findet in einem Gastbeitrag für Adevărul die Idee hinter dem Ressortnamen skurril:

„Geht es um Werte wie Demokratie und Gleichheit sowie die Wahrung der Menschenrechte und des Rechtsstaats? Auch andere Völker auf anderen Kontinenten teilen diese Werte, also können wir sie nicht exklusiv als eine europäische Lebensweise beanspruchen. … Unklar ist auch, warum sich die EU als Hüterin des Lebensstils eines ganzen Kontinents geriert, den sie nur zu einem Teil abdeckt! Zu Europa gehören auch der Westbalkan, Teile Russlands und der Türkei, oder die Ukraine und Belarus. Sie sind zumindest geographisch ebenfalls berechtigt, eine europäische Lebensweise zu beanspruchen. Das Gleiche trifft auf die Schweizer zu.“

Die Presse (AT) /

Neuer Kulturkampf um einen Begriff

Für Die Presse ist die Kritik am Namen des neuen Ressorts ein Déjà-vu:

„Hier flackert ein Kulturkampf auf, in dem es nicht um Argumente, sondern um moralische Selbstgewissheiten geht. Das war schon im Jahr 2000 so, als der aus Syrien stammende Politikwissenschaftler Bassam Tibi den Begriff der 'Leitkultur' formulierte und prompt genau entgegen seinen Argumenten interpretiert wurde. Tibi wollte Deutschland nicht als Christenvolk mit Schweinshaxenpflicht verstanden wissen, sondern ihm eine 'innere Hausordnung' geben, zu der man sich auch bekennen kann, wenn man anders isst oder betet. Also eine Leitkultur. Seine Gegner interessierte das nicht. Sie wollten ihn missverstehen.“

Ethnos (GR) /

Das riecht nach deutschem Europa

Sehr misstrauisch beäugt das neu geschaffene Ressort Ethnos:

„Die Präsidentin der Kommission gehört nicht zu den Anhängern eines föderalen Europas oder gar der raschen europäischen Integration - notwendige Voraussetzungen für die Schaffung eines langfristigen gemeinsamen Lebensstils. Im Gegenteil! … Es ist zu befürchten, dass sich hinter dem klangvollen Titel das Streben nach einem 'christlichen Europa' oder einem 'deutschen Europa' verbirgt. Und inhaltlich gesehen bleibt abzuwarten, ob die neue Kommission die Einwanderung im Sinne einer strengeren Grenzüberwachung angehen wird. Das heißt, mit einem Misserfolgs-Rezept.“

Naftemporiki (GR) /

Schützenswerte Eigenschaften

Es gibt eine europäische Lebensweise und es lohnt sich diese zu bewahren, findet Naftemporiki:

„Der Ausdruck selbst hat nichts 'Groteskes', Unheimliches', 'Faschistisches' oder 'Spaltendes'. ... Es genügt zu vereinbaren, was diese Lebensweise bedeutet und von wem sie bedroht ist. Was ist die europäische Lebensweise, wie wir sie nach dem [Zweiten Welt-]Krieg gelernt haben? Eine Welt des Friedens und der relativen Stabilität, auch in einem Umfeld mit zahlreichen Herausforderungen wie denen des letzten Jahrzehnts. ... Wie mit Migrationsströmen umgegangen wird, wie sich die Bürger wieder (finanziell) sicher fühlen, in welche Richtung Bildung gehen wird und wie die Beschäftigungsbedingungen gestaltet werden sollen, hat viel mit der europäischen Lebensweise zu tun.“

Público (PT) /

Kontrolle von Migration ist das einzige Ziel

Als lächerlich und heuchlerisch empfindet hingegen der Historiker Rui Tavares in Público das neue Aufgabengebiet des Griechen Margaritis Schinas:

„Das Aufgabengebiet von Herrn Schinas heißt 'Schutz unserer europäischen Lebensweise', was nach einem Titel von Monty Pythons 'Ministerium für alberne Gänge' klingt. Das Schlimmste ist, dass der Titel nicht nur albern, sondern auch heuchlerisch ist. Denn inhaltlich wird es um die Kontrolle von Migration gehen, oder, wie jemand sagte, darum zu 'verhindern, dass andere Personen auf unseren Lebensstil in der EU zugreifen'. Wie in der schlimmsten Überlieferung von George Orwells 1984, in der das Ministerium für Wahrheit Lügen propagierte und das Friedensministerium Krieg führte, bedeuten die Namen der Portfolios in dieser neuen EU-Kommission das Gegenteil ihrer Funktionen.“

De Standaard (BE) /

Gefährliche Wortwahl

Die Bezeichnung des Ressorts ist ein Kniefall vor dem ungarischen Premier Orbán, urteilt De Standaard:

„Was will man denn genau schützen? Gegen wen? Ein weißes, christliches Europa gegen eine Invasion von Muslimen und Afrikanern? ... Klar, es gibt das Bedürfnis der Menschen nach einer gemeinsamen Identität, danach, sich zu Hause zu fühlen in einer sich rasant verändernden Welt, was von den kosmopolitischen Technokraten in Brüssel lange Zeit ignoriert wurde. Und ja, Migration nährt Angst und Unbehagen, gut, dass die Zuständigkeit dafür bei einem Vizevorsitzenden gelandet ist und damit ganz oben auf der europäischen Tagesordnung. Aber indem sie die Migrationspolitik an den Schutz des europäischen 'Way of Life' koppelt, erweckt die Kommission den Eindruck, das Framing von Orbán zu übernehmen.“

Kristeligt Dagblad (DK) /

Bitte auf die wichtigen Dinge konzentrieren

Von der Leyen hat dem Migrations-Kommissar erweiterte Kompetenzen zugewiesen, beobachtet Kristeligt Dagblad:

„Er ist jetzt Kommissar für den Schutz dessen, was Europa ausmacht. Was auch immer das ist. Manche Europäer leben noch immer in großer Armut, andere in Wohlstand. Einige können von demokratischen Rechten profitieren, während andere noch immer dafür kämpfen müssen. ... Manche leben in Gesellschaften mit hohen Steuern und öffentlich finanzierter Wohlfahrt, während andere sich selbst versichern und alles aus eigener Tasche zahlen müssen. Man stelle sich vor, die neue Kommission wäre weniger damit beschäftigt, neue glänzende Ideen zu pflegen, und würde sich stattdessen darauf konzentrieren, die für Europa dringenden Aufgaben zu lösen.“

Webcafé (BG) /

Clickbait der neuen Kommissionspräsidentin

Webcafé wirft einen humoristischen Blick auf die Bezeichnungen der neuen Ressorts der EU-Kommission, wie 'Schutz der europäischen Lebensweise', oder 'Stärkeres Europa in der Welt':

„Es fällt auf, dass die Hauptressorts der neuen EU-Kommission in bemerkenswerter Weise umbenannt worden sind. Sie klingen wie aus einem Lehrbuch für Verhaltenspsychologie oder aus einem Artikel mit dem Titel 'Fünf Tricks für Influencer, die mehr Follower auf Instagram haben wollen'. … Schade nur, dass es keine Ressorts wie 'Schönheit findet sich in den kleinen Dingen', 'Blühen und Gedeihen' oder 'Morgenmeditation' geben wird.“