Türkei: Was bedeutet das Ende der PKK?
Nachdem der inhaftierte PKK-Führer Abdullah Öcalan Ende Februar zur Niederlegung der Waffen aufgerufen hatte, wurde nun der Beschluss der Selbstauflösung der verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans bekannt. Die Entscheidung sei vor einer Woche auf einem Parteikongress im Nordirak gefallen, so die kurdische Nachrichtenagentur ANF. Warum diese Nachricht neben Erleichterung auch Sorgen auslöst, zeigt der Blick in Europas Presse.
Annäherung an Europa möglich
Laut Kleine Zeitung können sich nun für die Türkei neue Wege öffnen:
„Die Türkei wurde durch den Kurdenkrieg nicht nur in ihrer politischen, sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung gehemmt, sondern auch in ihrem Verhältnis zur EU. Nun steigen die Chancen für eine Neubelebung der türkisch-europäischen Beziehungen. Eine 'Türkei ohne Terror', wie Präsident Recep Tayyip Erdogan sagt, kann viel undemokratischen Ballast abwerfen. ... Die Selbstauflösung der PKK wird die Türkei nicht über Nacht in einen demokratischen Staat verwandeln. Doch das Ende des Kurdenkriegs nach mehr als 40 Jahren könnte in der Türkei neue Türen öffnen – auch nach Europa.“
Eine große Chance auf Frieden
Für ein Ende des Terrors ist maßgeblich, dass Ankara diesen Prozess nun gut lenkt, kommentiert die regierungstreue Daily Sabah:
„Die Türkei hat einen kritischen und historischen Wendepunkt in ihren Bemühungen erreicht, das seit fast einem halben Jahrhundert andauernde Terrorismusproblem zu lösen. Die Entscheidungen der PKK, ihre Organisationsstruktur aufzulösen, alle Aktivitäten unter dem Namen PKK einzustellen und die Waffen niederzulegen, öffnen die Tür für den Beginn einer neuen und vielversprechenden Ära für die Türkei. ... Diese Chance wird jedoch nur dann zu konkreten und dauerhaften Ergebnissen führen, wenn die Türkei den Prozess sorgfältig und entschlossen steuert und alle notwendigen politischen, militärischen und sozialen Maßnahmen ergreift.“
Die Demokratie wird leiden
The Times sieht Erdoğan als Gewinner:
„Zugeständnisse von ihm in Bezug auf das Leben der kurdischen Identität, könnten ihm die Unterstützung kurdischer Parteien sichern und ihm so eine Supermehrheit im Parlament ermöglichen. Diese würde es Erdoğan erlauben, die Verfassung zu ändern und 2028 erneut für das Präsidentenamt zu kandidieren. Ebenfalls bedeutet dies das Ende eines zermürbenden Kampfes gegen Aufständische, der die Türkei mit einer Inflationsrate von 38 Prozent und Zinssätzen von 46 Prozent teuer zu stehen kommt. ... Ein potenzielles Opfer: die Demokratie. Mit den Kurden an seiner Seite könnte Erdoğan die liberale, säkulare Opposition, die er derzeit verfolgt, vollständig außer Gefecht setzen.“
Jetzt geht es anderen an den Kragen
Der Tages-Anzeiger konstatiert, dass die Kurden nun durch neue Staatsfeinde ersetzt worden sind:
„Die türkische Gesellschaft lebt mit einem Staat, dem sie nicht vertrauen kann. Auf die Stigmatisierung der Kurden mag der Präsident jetzt verzichten, weil er einen Keil zwischen sie und die Opposition treiben will. Von ihr aber sagte Erdogan erst vor einigen Tagen, sie werde 'verenden'. Er sprach über seine Gegner wie über Tiere. Die Stigmatisierung geht weiter, gegen andere als früher. Solange dieser Mann regiert, ist jeder im Land seiner fast uneingeschränkten Macht ausgesetzt. Was ist Frieden? Das Gegenteil von Unterdrückung. Andernfalls geniesst den Frieden nur der Machthaber.“
İmamoğlu darf nicht vergessen werden
Die taz wendet ein:
„Bei aller Euphorie über das Ende der Gewalt darf man nicht vergessen: Die Rechte der Kurd*innen sind für Erdoğan nur Verhandlungsmasse. Die Freilassung Öcalans wurde kurz vor der Verhaftung Ekrem İmamoğlus verkündet. Das war kein Zufall: Es gefährdet die fragile Allianz zwischen der [kurdischen] DEM und der CHP, und genau das will die AKP erreichen. Gleich zwei große Oppositionsparteien gegen sich zu haben, ist gefährlich für Erdoğan. Die DEM-Partei hatte sich bei den jüngsten Protesten sogar von der CHP distanziert, um den Friedensprozess nicht zu gefährden.“
Und wie wird es in Syrien weitergehen?
Für die Türkei bleibt jedoch die Frage offen, was mit ihrem syrischen Ableger YPG geschehen wird, kommentiert T24:
„Wie erwartet, wird in der Erklärung der Organisation kein Schwerpunkt auf Syrien gelegt. Das liegt daran, dass das Thema Syrien sowohl für die Organisation als auch für Ankara auf einen späteren Zeitpunkt vertagt ist. ... Ankara weiß natürlich, dass die Organisation keine Entscheidung über die YPG treffen wird. Aber die Eingliederung der YPG in die syrische Armee und die Beendigung ihrer Existenz wird definitiv als Erwartungshaltung auf die Tagesordnung kommen.“