Leben wir noch im Frieden oder schon im Krieg?
Bei den Verhandlungen zum Ukraine-Krieg scheint ein Durchbruch in weiter Ferne. Im Schwarzen Meer attackierte die Ukraine erstmals Öltanker auf dem Weg nach Russland. Militär- und Sicherheitsfragen stehen in allen Ländern weit oben auf der Tagesordnung – und Putin spricht zweideutig von einem Krieg mit Europa. Gleitet der Kontinent ab in einen noch größeren Konflikt? Die Medien sondieren die Lage.
Nebel der Ungewissheit
El País lotet die aktuelle Lage aus:
„In mehreren Ländern wird unter Kriegsgerüchten der Wehrdienst wieder eingeführt, und um die aktuelle internationale Lage zu verstehen, muss man Militärpläne studieren. ... Wir befinden uns weder im Krieg noch im Frieden, obwohl Wladimir Putin gestern warnte: 'Wir wollen keinen Krieg mit Europa, aber wenn er ausbricht, sind wir vorbereitet.' Das Entscheidende ist hier das 'aber' – nichts ist selbstverständlich. ... Große Herrscher und Feudalherren technologischer Macht sind wieder am Ruder. Es ist weder Krieg noch Frieden: Ein Nebel liegt über dieser ungewissen Zeit, in der die Frage nicht mehr lautet, wohin wir gehen, sondern wohin man uns treibt. ... Bleibt nur, sich irgendwo zu verkriechen.“
Unsichtbarer Konflikt um Europas Tragwerk
La Stampa analysiert:
„Europa gründet auf Recht und Transparenz, Russland auf deren Aushöhlung. Die Nato muss ihre eigenen Bindungen verteidigen, ohne sie in Schwächen zu verwandeln. Sie muss einen amerikanischen Verbündeten einbinden, der nach einer Logik des Tauschs und der Transaktion verhandelt, sowie einen russischen Gegner, der nach der Logik der Destabilisierung agiert. Deshalb ist der 'unsichtbare Krieg' nicht die Vorstufe des Krieges: Er ist der Krieg. Ein Krieg, der nicht an Grenzen ausgetragen wird, sondern auf dem Geflecht von Infrastrukturen, das den Kontinent trägt. Das strategische Überleben Europas wird davon abhängen, ob es an den Verhandlungstischen als ein Akteur auftreten kann, der nicht nur Territorien verteidigt, sondern Systeme, Kontinuität, Resilienz und Rechte.“
Westliche Ordnung hat für Putin keinen Wert mehr
Corriere della Sera zitiert:
„'Das Leben von gestern ist vorbei. Und es wird nicht zurückkehren.' Mit dieser Schlagzeile umschreibt die Nesawissimaja Gaseta, die liberalste Moskauer Tageszeitung, die Verhandlungen zum Krieg in der Ukraine. ... Es sind inzwischen fast vier Jahre vergangen, seit alles begann. Viele Veränderungen im Leben der Menschen, viel Erschöpfung, viel Polarisierung in den Gesellschaften weltweit. Doch was wir nur schwer verstehen und akzeptieren können, ist, wie sich das Wesen Russlands in dieser Zeit so radikal und unwiderruflich verändert hat. ... 'Kann Wladimir Putin die westliche 'regelbasierte Ordnung' gegenüber seinem Land noch akzeptieren? Die Antwort ist klar: Nein. ... Diese Ordnung hat für Russland keinen Wert mehr' [so die Nesawissimaja Gaseta].“
Zeit für neue Churchills, Thatchers und Adenauers
Europa braucht jetzt echte Entschlossenheit, fordert Walerij Tschalyj, ehemals Botschafter der Ukraine in den USA, auf Facebook:
„Der Anführer des zerfallenden nordasiatischen Imperiums hat heute mit seinen emotionalen Drohungen, mit denen er die Schlüsselländer Europas erpressen will, deutlich gezeigt, dass seine Positionen aufweichen. In der Sprache der Petersburger Hinterhöfe ausgedrückt: Er blufft. Das ist ein sehr gutes Zeichen. Das Problem ist nur, dass dies ausreichen könnte, um die Länder der Europäischen Union und die europäischen Nato-Staaten aus 'entschlossenen' erneut zu ewig 'willigen' werden zu lassen. Europa wacht auf. Ich hoffe, es beginnt endlich zu handeln! Wo seid ihr, Europas Churchills, Thatchers und Adenauers? Eure Zeit ist gekommen!“