UK nimmt wieder an Erasmus teil – ein Durchbruch?

Der Vollzug des Brexits hatte für das Vereinigte Königreich auch den Abschied vom erfolgreichen EU-Austauschprogramm Erasmus bedeutet. Ab 2027 können europäische Studierende nun wieder ein Uni-Jahr oder eine Ausbildung auf der Insel absolvieren – und umgekehrt. Kommentatoren diskutieren, inwieweit die erzielte Einigung ein Anzeichen dafür ist, dass die Eiszeit zwischen den Briten und Europa vorbei ist.

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The Independent (GB) /

Man arbeitet wieder zusammen

Das Abkommen steht sinnbildlich für eine schrittweise Wiederannäherung an die EU, freut sich The Independent:

„Erasmus ist nur das erste einer Reihe von einzelnen Abkommen, die sich ihren Weg durch eine immer besser funktionierende Verhandlungsmaschinerie bahnen. Als nächstes steht ein Abkommen über den Wiedereintritt Großbritanniens in den EU-Strommarkt an. ... Ebenfalls auf der Agenda ist ein Abkommen zum Handel mit Lebensmitteln und Getränken – das sogenannte Abkommen über sanitäre und phytosanitäre Standards –, das die Grenzkontrollen zwischen dem Vereinigten Königreich und der EU verringern würde. Dieser dichte Wust an Bürokratie sollte von der Tory-Regierung zwar entwirrt werden, doch sie kam diesem Ziel nie auch nur annähernd nahe.“

The Irish Times (IE) /

Bei anderen Themen wird es kniffliger

Das Erasmus-Programm dürfte der leichte Teil der Wiederannäherung gewesen sein, prophezeit The Irish Times:

„Die Entscheidung könnte ein Vorbote weiterer, gewichtigerer Schritte sein – etwa in Richtung Zollunion sowie in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Dass die Labour-Regierung einzelne Elemente des Brexits nun neu auf den Prüfstand stellt, speist sich aus wachsenden Belegen für dessen wirtschaftlichen Schaden und geopolitische Fehleinschätzungen. ... Die offensichtlichen Vorteile für jüngere Generationen sowie die Unterstützung zahlreicher Bildungs- und Wirtschaftsverbände erklären, warum die Entscheidung zu Erasmus parteiübergreifend vergleichsweise wenig umstritten war. Das gilt aber nicht für den umfassenderen Prozess der Neubewertung des Brexits.“

The Spectator (GB) /

Geldverschwendung für Party-Studis

The Spectator bevorzugt das vorhandene Turing-Programm:

„Die Kosten liegen bei nur 78 Millionen Pfund [ca. 90 Millionen Euro] statt der 570 Millionen Pfund [660 Millionen Euro], die die Regierung für Erasmus im Jahr 2027 bereitgestellt hat. Turing unterstützt jährlich 28.000 Studierende, während Erasmus voraussichtlich von 100.000 genutzt werden wird. Es ist jedoch anzunehmen, dass unter den 28.000 Studierenden ein höherer Anteil ernsthaft Studierender ist, die ihre Zeit auch wirklich akademisch nutzen möchten. Sicherlich hat es ausschließlich mit der Qualität der spanischen Wissenschaft und absolut und rein gar nichts mit Sand, Meer und Bars zu tun, dass Spanien bei weitem das beliebteste Ziel für Erasmus-Studierende ist.“

RFI România (RO) /

Zentral für innereuropäische Bindungen

Erasmus bringt Europa in jeder Hinsicht zusammen, betont RFI România:

„Junge Menschen verschiedener Nationalitäten lernen sich durch das Programm kennen, knüpfen Kontakte, tragen so zum Aufbau eines europäischen Bewusstseins bei. Nach einem mehrmonatigen Auslandsstudium oder -praktikum kehren sie oft mit mehr Engagement für die Gemeinschaft und mehr sozialer Verantwortung zurück. Laut einem EU-Bericht von 2022 haben 27 Prozent der Erasmus-Studierenden ihren langfristigen Partner bei dieser Gelegenheit gefunden. In den vergangenen 30 Jahren wurden über eine Million sogenannter Erasmus-Babys geboren. Viele haben inzwischen selbst vom Programm profitiert, durch das sich ihre Eltern kennengelernt haben. Nun werden auch die Türen der britischen Unis wieder für europäische Studenten geöffnet sein – und umgekehrt.“