Spanier wählen Zweiparteiensystem ab

Die Konservativen gehen zwar vor den Sozialisten als stärkste Partei aus der spanischen Parlamentswahl am Sonntag hervor, die absolute Mehrheit ist Premier Mariano Rajoy aber los. Dritte und vierte Kraft wurden die linke Podemos und die liberale Ciudadanos. Das Land ist nun vollkommen unregierbar, meinen einige Kommentatoren. Andere werten das Ergebnis als einen Schritt hin zu mehr Demokratie.

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El País (ES) /

Keine Revolution, aber deutlicher Wandel

Eine stabile Regierung wäre nur mit bislang für Spanien sehr ungewöhnlichen Pakten möglich, meint die linksliberale Tageszeitung El País und sieht genau darin den Willen der Wähler: "Das neue aus den Urnen hervorgegangene Parteiensystem ist keine Revolution, aber doch ein deutlicher Wandel. Zuallererst reflektiert es den Wunsch der Spanier nach Verhandlung und Einigung - enttäuscht von den ausweglosen Konfrontationen, die in der Vergangenheit zu extremer Polarisierung führten. Man wird das Zusammenleben in einem Szenario von parlamentarischen Minderheiten lernen müssen, in denen jeder sein Bestes geben muss, um die Stabilität zu garantieren. Zweifellos stehen komplizierte Verhandlungen zur Regierungsbildung bevor. Aber es ist zu hoffen, dass die Hauptakteure unserer Verfassung diese Aufgabe in konstruktiver Weise angehen."

Público (PT) /

Wahl könnte positive Effekte haben

Voller Hoffnung blickt die liberale Tageszeitung Público auf die neue Legislaturperiode im Nachbarland: "Wie in Portugal der Fall gewesen, kann das Fehlen einer absoluten Mehrheit bedeuten, dass die Macht auf eine parlamentarische Allianz verlagert wird, die nicht unbedingt die naheliegende ist. ... Die beiden großen Parteien (PP und PSOE) werden mit Ciudadanos und Podemos verhandeln müssen. Das alleine ist zwar noch keine Garantie für eine neue Politik, läutet jedoch einen neuen Zyklus ein, der zwar unberechenbar, aber auch viel herausfordernder ist. Dies gilt natürlich nur, wenn die Parteien sich ernsthaft bemühen, Abkommen zu schließen und einen Konsens zu erreichen - und wenn bei den Verhandlungen etwas herauskommt, was dem Streben nach Veränderung entspricht, das die Wähler nun gezeigt haben. Viele sagen, dass sie von kurzer Dauer sein wird, aber diese neue Legislaturperiode kann eine angenehme Überraschung werden."

De Tijd (BE) /

Im Rekordtempo zur unregierbaren Demokratie

Spanien ist unregierbar geworden, kommentiert die Wirtschaftszeitung De Tijd das Wahlergebnis: "Es wird nun große politische Führungsstärke und Visionen erfordern, um mit diesem Wahlergebnis eine funktionierende Koalition auf die Beine zu stellen. ... Tatsache ist, dass die Eurokrise auch Spanien eine zersplitterte politische Landschaft beschert hat und dass ihre schlimmsten Folgen - wie haushohe Arbeitslosigkeit, Ungleichheit und Armut - noch nicht einmal bekämpft wurden. Während der Diktatur von Francisco Franco gab es keinen Platz für politische Pluralität. 50 Jahre später gibt es keine funktionsfähige Mehrheit mehr. Spanien ist in einem Rekordtempo von einer Diktatur zu einer unregierbaren Demokratie geworden."

Corriere del Ticino (CH) /

Ciudadanos hätte Spanien retten können

Die neue liberale Partei Ciudadanos ist mit 13,9 Prozent nur auf Platz vier gelandet. Äußerst bedauerlich, findet die liberale Tageszeitung Corriere del Ticino: "Eine Zusammenarbeit zwischen Rajoy und den Liberalen von Ciudadanos wäre die interessanteste Option gewesen und auch die, die am ehesten geklappt hätte. Denn die Liberalen sind positiver und konstruktiver als Podemos und zielen nicht darauf ab, die Errungenschaften der letzten 30 Jahre der spanischen Politik zunichte zu machen. Sie [die Liberalen] sind für einen Neubeginn, verzichten aber darauf, als Moralprediger aufzutreten und haben sich als gemäßigte Alternative zu den Systemkritikern von Podemos-Chef Pablo Iglesias herausgestellt. Zudem ist das Wirtschaftsprogramm der Konservativen nahezu identisch mit dem von Liberalen-Chef Albert Rivera, der außerdem, selbst Katalane, gegen die Unabhängigkeit Kataloniens ist. Er hätte die richtige Person sein können, um das regionale Aufbegehren aufzufangen."